`n Stück Holz

– ­Tausend und eine Verwendung vom Pilgerstab –

Denkt man an einen mittelalterlichen Pilger, fallen einem mehrere markante Gegenstände ein: der breitkrempige Hut, die Umhängetasche und natürlich der Stab. Und genau dieser Stab sieht erst simpel aus und mutet an wie eine einfache Gehhilfe, aber der Pilgerstab ist komplexer und vielseitiger als auf dem ersten Blick gedacht.

Bevor wir dazu kommen, welche Formen an Stäben es gab und wie sie bzw. für was sie verwendet wurden, kommen wir zur Frage: Was sagen eigentlich die Quellen, wieso man einen Pilgerstab haben sollte?

Diese Frage lässt sich ziemlich schnell beantworten, wenn man in den Liber Sancti Iacobi, den ersten Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, schaut. Dort heißt es nämlich, der Pilgerstab sei zum einen ganz simpel eine Unterstützung beim Gehen – wie wir auch oben schon angedeutet haben –, aber gleichzeitig symbolisiere dieser „dritte Fuß“ auch die hl. Dreifaltigkeit, an der der Pilger seine ganze Reise über festhalten solle. Und so, wie der physische Pilgerstab gegen Hunde und Wölfe schütze, so schütze der metaphorische Pilgerstab gegen den Teufel. Der Stab wird also als Gehhilfe, Verteidigungsgegenstand und „Talisman“ angesehen. Und was auch wichtig ist: der Stab ist einer der Gegenstände, die der Pilger von seinem Priester vor der Abreise übergeben bekam, zusammen mit der schon angesprochenen Pilgertasche.

Doch wie sahen diese Pilgerstäbe nun aus? Erhalten sind nur wenige Originale, und diese auch nur bruchstückhaft. Daher fokussieren wir uns an dieser Stelle auf die Abbildungen und ziehen die Originale eher nur unterstützend hinzu.

Pilgerstab mit drei Knubbeln. Aus: Legende des Hl. Rochus, 1482 gedruckt in Wien, wahrscheinlich von Stephan Koblinger

Während des Mittelalters sind die Pilgerstäbe meist in einer Größe dargestellt, dass sie entweder bis zur Brust reichen oder bis zum Scheitel. Am oberen Ende und etwa eine Handspanne darunter sind häufig jeweils eine kugelförmige Verdickung gezeigt. Es gibt aber auch Darstellungen, die nur den Knubbel am oberen Ende haben, oder drei. Stäbe ganz ohne Knubbel sieht man auf den Abbildungen ebenfalls, aber nicht in einer repräsentativen Menge. Pilgerstäbe in Überlänge kommen zwar auch vor, diese sind dann geschätzt einen Kopf größer als der Besitzer, und auch Stäbe ganz ohne Knubbel, aber halt selten. Die Dicke ist leider auf den Abbildungen nicht sinnvoll einzuschätzen. Die Stäbe sind aber allesamt sehr gleichmäßig und sehen nie aus, als hätte man einfach einen Ast aufgehoben, sondern sind gerade und haben eine durchgehend gleiche Dicke – wenn man von den Knubbeln absieht. Sie sind wahrscheinlich also entweder aufwendig geschnitzt oder gedreht. Wie durch einen Beitrag von Historie & Fantasie, Die Schreinerei wissen wir auch endlich, dass die Pilgerstäbe durchaus aus mehreren Teilen gedreht sein können und auf eine spannende Weise zusammengesteckt Hier der Link zur Facebookseite Der obere Teil mit den beiden Knubbeln wurde anscheinend gedrechselt und unten gehöhlt. Der eigentliche Stab wurde passend für das Zapfenloch bearbeitet und ein Spalt eingesägt, in den ein Keil leicht eingesteckt wurde, der beim Zusammenstecken automatisch tiefer in den Spalt getrieben wurde, den Zapfen verbreiterte und somit beide Teile fest miteinander verkeilte.

Wie man im verlinkten Beitrag auch sieht, hat der Pilgerstab am anderen Ende eine Auffälligkeit, nämlich die Spitze. Diese konnte nämlich durchaus mit Metall verstärkt sein, und aus eigener Erfahrung können wir auch mittlerweile sagen, dass das sinnvoll ist und den Stab vor zu schneller Abnutzung schützt, und gleichzeitig mehr Stabilität beim Gehen bietet, da der Stab mehr Grip bekommt. Eine Übersicht zu den verschiedenen Arten von Metallspitzen inkl. Bilder von verschiedenen Funden findet ihr unten bei den Links im Artikel „Il Bordone Del Pellegrino“ von Andrea Guerzoni.

Pilgerstab mit Haken – Breviar aus dem British Library: Add MS 18851, um 1497

Ein weiteres Feature, welches man gelegentlich sieht, ist ein eiserner Haken. Diesen kennen wir bisher nur von Pilgerstäben mit zwei oder drei Knubbeln, bei denen er dann immer zwischen den (oberen beiden) Knubbeln angebracht ist. Wozu der Haken gedient haben mag, da können wir leider nur spekulieren, da jede Abbildung, die wir bisher kennen, den Haken leer zeigt. Hier werden wir bei Gelegenheit auf einer Langstrecke wohl experimentieren müssen, sobald wir einen Pilgerstab mit Haken haben. Also in dieser Angelegenheit könnt ihr gespannt bleiben.

Und hiermit kommen wir zum dritten Punkt in dieser Übersicht: die Verwendungsmöglichkeiten. Diese teilen wir ein in: 1. belegt oder 2. denkbar bzw. spontan improvisiert. (Diese Übersicht ist ausdrücklich ein WIP Projekt und befindet sich, während ihr das lest, um Zustand 1, verfasst/aktualisiert am 03.08.21. Nach jedem Update werden hier die beiden Zahlen angepasst)

Belegte Verwendungen sind, wie man sich denken kann:

  • die Gehhilfe. Der Wanderstab bietet Entlastung beim Gehen, man kann sich bergauf daran stützen und hochziehen, und bergab bremst man bei jedem Schritt damit ab, um nicht zu fallen. Besonders bei sehr steilen Strecken bietet es sich an:
  • Auch auf der geraden Strecke hat er einen Vorteil, und zwar als Taktgeber. Die eigene Erfahrung sagt, dass man mit einem Wanderstock besser im gleichen Rhythmus beim Gehen bleibt, und je gleichmäßiger man geht, desto energiesparender ist es. Die Vorteile von Wanderstöcken auf stark unebenen oder rutschigen Wegen sind wahrscheinlich selbsterklärend.
  • Hilfe beim Überqueren von Gräben. Geht man über Felder, kommt man oft früher oder später an einen Graben. Ähnlich wie heute in Norddeutschland das Pultstockspringen konnte man auch als Pilger seinen Stab nutzen, um über Gräben zu gelangen. Diese Technik wird in einer Abbildung aus einem Pilgertagebuch auch gezeigt. (Die Quelle liefern wir nach. Versprochen!) Stabhochsprung im Kleinen. Das haben wir hier auch einmal nachgestellt. Aber leider muss auch dieses Video erst nachgeliefert werden. Sorry. Aber das kann man sich mehr oder weniger wie hier vorstellen:
  • Der Stab als Waffe. Wie schon oben erwähnt, war schon historisch der Pilgerstab auch als Verteidigung gegen wilde Hunde o.ä. angedacht. Der Pilgerstab ist schließlich auch einfach ein Stock, und meistens noch ein ziemlich stabiler dazu, ggf. mit eisernen Spitzen am Ende. Eine Kuriosität dazu im Zusammenhang bildet der Pilgerstab mit versteckter Stoßklinge. Es gibt zwei(?) erhaltene Exemplare von solchen ‘gepimpten’ Pilgerstäben, die aus dem üblichen zweiknubbligen Griff bestehen, aber das lange Ende ist eine spitze Stahlstange. Man könnte damit zwar auch harmlos Müll aufspießen, oder, was eher anzunehmen ist, den Stab wie ein Langschwert greifen und mit dem Spieß, nunja, zustechen. Hier ist aber zu bedenken, dass es sich durchaus um gezielt hergestellte Kuriositäten handeln kann, die nie so repräsentativ häufig vorkamen, sondern in einer privaten Kuriositätensammlung landeten. Die Geschichte zu diesen Sonderfällen ist bisher nicht untersucht und es gibt auch keine uns bekannten Abbildungen, die derartige Pilgerstäbe zeigen. Einer ist unten verlinkt.
  • Der Stab als Tragehilfe. Auf der Abbildung auf der linken Außentafel von Hieronymus Bosch – Weltuntergangs-Triptychon (erstellt zwischen 1485 und 1505) trägt Jakobus der Ältere seinen Pilgerstab über der Schulter und auf den Stab hat er seinen Mantel gelegt. Generell ist aber eher davon abzuraten, den Pilgerstab als Tragehilfe zu nutzen, da man in dem Moment auf alle Vorteile des Stabs verzichten muss, und auch nur begrenzt gut sein Gepäck am Stab sichern kann. Vielleicht dient aber der oben genannte Haken genau dafür, und diese Situation ist nur nie abgebildet worden. Möglich wäre es. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit fragwürdig ist.
  • Der Pilgerstab kann aber auch Prestige sein. Abgesehen von den sehr funktionalen Versionen, die wir bisher gezeigt und behandelt haben, gibt es auch das Exemplar von Stephan III. Praun, der 1571, naja, eine edle Pilgerreise unternahm. Schaut euch einfach seinen Hut und seinen Stab an und überlegt selbst, wie viel harte Strecke er damit wahrscheinlich gemacht haben dürfte: Link zum GNM

denkbar und/oder selbst spontan improvisiert sind folgende Verwendungsarten:

  • Stab als Waffe 2.0. Wie oben bereits erwähnt, kann man den Stab laut Quellen gegen Hunde einsetzen und es gibt Stoßklingen-Pilgerstäbe, also wieso nicht beides kombinieren? Es gibt schließlich Fechtbücher, in denen der Kampf mit der Stange beschrieben wird, und der Pilgerstab hat in etwa die Länge eines längeren Langschwerts bis zu Montante-Länge. Man kann sicherlich – das muss noch mal ausprobiert werden – auch adäquat mit dem Pilgerstab in einen effektiven Zweikampf übergehen, auch gegen bewaffnete Zweibeiner, die vielleicht einen Pilger um seine spärliche Habe befreien wollen.
  • Der Stock, das Multitool des kleinen Mannes. Auf unserer Pilgerreise 2020 kamen wir an einem Apfelbaum vorbei, aber die schönen Äpfel waren zu weit oben, also wurden die beiden vorhandenen Stäbe flugs umfunktioniert und der Spalt zwischen zwei Knubbeln ausgenutzt.
  • Unterarmgehhilfe. Zwar werden auf Abbildungen regelmäßig köprerlich beeinträchtigte Pilger gezeigt, aber sie haben meist extra für ihre Beeinträchtigung hergestellte Hilfsmittel. Aber on-the-fly ist auch ein normaler Pilgerstab eine ziemlich gute Krücke. Mit dem Knubbel am oberen Ende ist es auch nicht zu unbequem, auf Kurzstrecke ihn sich unter die Achsel zu klemmen und das darunterliegende Bein voll zu entlasten.

Sonderfälle

Pilgerstab mit Stoßklinge: https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/285826

Pilgern mit Stil: https://objektkatalog.gnm.de/wisski/navigate/123726/view

Weitere Links:

Andrea Guerzoni: Il Bordone Del Pellegrino (PDF)

Literatur:

Herbers, Klaus (2008): Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert. Stuttgart: Reclam (Reclams Universal-Bibliothek, 18580).

2 thoughts on “`n Stück Holz

  1. Hallo,
    danke für den interessanten Beitrag. Ihr schreibt, dass Ihr nicht wisst, wozu der metallene Haken des Stabes dienen soll. Ich habe jetzt auch kein Gemälde gefunden, welches das explizit zeigt, aber Jakobus d.Ä. wird oft mit einem Kürbis als Wasserflasche (wohl Flaschenhalskürbis) am Stab abgebildet.

    Gruss, Daniel

    1. Moin Daniel,
      die Abbildungen kennen wir auch, aber die bringen einen vor ein Problem: das ist nur sinnvoll, wenn man gerade steht oder den Stock irgendwo angelehnt hat. Bei Bewegung gibt das ganz unbequeme und unschöne Umwucht, zudem schlägt die Kalebasse oder die Tonflasche an den Stock und kann kaputt gehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert