Das Gepäck des Pilgers

Eine Frage, die uns vor und während unserer Reise sehr beschäftigt hat, war, wie der mittelalterliche Pilger denn eigentlich sein Gepäck transportierte. Gar keine schlechte Frage, denn schließlich hatten wir die ganzen Sachen 100km zu tragen, und da hat man es gerne möglichst leicht, bequem und praktikabel.

Was ein mittelalterlicher Pilger an Ausstattung dabei hatte und was wir auf unsere Reise mitgenommen haben, haben wir euch bereits in VorWeg#2 berichtet. Nun halten sich die Quellen leider sehr bedeckt dazu, was ein Pilger im Einzelnen auf seine Reise mitnehmen sollte: Hut, Mantel, Stab, Tasche, Essgeschirr und ein zweites Paar Schuhe werden explizit genannt, sie sind also unabdingbar.[1] Aber wo ließ man alle diese Sachen? Sicher, vieles trägt man am Körper, einiges in der Tasche – aber was macht man mit dem zweiten Paar Schuhe? Wo lässt man das Essgeschirr? Wohin mit dem Mantel, wenn es warm ist? Und für uns noch viel wichtiger: Was passiert mit dem ganzen weiteren Kleinkram, der in den Quellen nicht genannt wird, den wir (und vieles davon auch der mittelalterliche Mensch) aber trotzdem mitnehmen müssen?

Zugegeben: Die eine Antwort gibt es nicht. Aber wir haben verschiedene Möglichkeiten und Varianten auf unserer Reise für euch ausgetestet. Die wollen wir euch in diesem Blogpost gerne vorstellen. Und natürlich diskutieren wir auch für euch, was die Quellen dazu sagen und wie praktikabel diese Lösungen tatsächlich sind.

1) Tasche
Die ausführlichste Beschreibung der Pilgertasche findet sich im Codex Calixtinus, einer Handschrift über die Jakobspilgerschaft, aus dem 12. Jahrhundert.[2] Dort heißt es, die Tasche solle aus Tierhaut sein, denn das versinnbildlicht die Abtötung des eigenen Fleisches (im übertragenen Sinne!), mit enger Öffnung, sodass nur ein kleiner Vorrat an Proviant hineinpasst, aber nicht zugebunden, um immer freigiebig zu sein. Ihr seht, die Tasche selbst soll Symbol der beschwerlichen und von Verzicht geprägten Reise sein.

Es gibt verschiedene regionale Bezeichnungen der Pilgertasche, die pera, die sporta, die scarsella oder isquirpa oder den Wallsack, auch die Bildquellen vermitteln unterschiedliche Formen. Oben schmal zulaufende, etwas trapezförmige Beutel, wie im Codex Calixtinus beschrieben, aber auch eher rechteckige oder halbmondförmige Taschen, sowohl aus Leder als auch aus Textil sind belegt (während es ursprünglich geflochtene Binsen waren, ist später eher Leinen denkbar).

Wir hatten zwei verschiedene Taschenformen dabei: eine Leinentasche mit trapezförmigen Schnitt und eine runde Ledertasche. Auch wir haben darin hauptsächlich den Proviant transportiert, aber auch unser Erste-Hilfe-Kit und die Technik, die wir brauchten, um für euch unsere Reise zu dokumentieren. Mai-Britt hatte auch ihr zweites Paar Schuhe in der Tasche.

Wenn die Tasche auf der Schulter zu schwer wird, und das passiert bei der einseitigen Belastung recht schnell, kann es helfen, den Schulterriemen mit unter den Gürtel zu legen. Die Schulter wird so etwas entlastet und ein Teil des Gewichts auf die Taille gelegt. Zu weiteren Tragevarianten siehe unten.

Fazit: Die Tasche ist eines der zentralen Pilger-Items schlechthin und kann vielfältige Formen aufweisen. Sie bietet viel Platz, alles kriegt man hierin aber definitiv nicht unter.

2) Gürtel
Eine weitere Möglichkeit ist, einen Teil des Gepäcks auf den Gürtel zu verlegen. Gürtel waren, anders als heute, im Mittelalter nicht dazu da, die Hose an Ort und Stelle zu halten, sondern um die Kleidung zu raffen und um, in Ermangelung von Hosentaschen, Taschen, Beutel und manchmal auch weitere Gegenstände daran zu befestigen.

So hielten es auch die Pilger wie man beispielsweise in dieser Abbildung gut erkennen kann. Genau wie sie haben auch wir unser Essgeschirr und Besteck am Gürtel befestigt. Philipp trug neben seiner Gürteltasche auch noch seine Flasche und ein Lederetui für unsere Visitenkarten, und Mai-Britt ein kleines Nadeletui mit Nähzeug für den Notfall. Außerdem hatten wir beide unsere Rosenkränze am Gürtel: Die werden auf den Darstellungen zwar oft abgebildet, meistens aber in der Hand der Pilger. Da das auf Dauer doch etwas un”hand”lich war, haben wir sie an den Gürtel gehängt – das kann aber auch schnell mal zu Verlusten führen, wie Philipp leider selbst feststellen musste.

Fazit: Die Gürtelvariante eignet sich vor allem für kleine leichte Gegenstände mit Aufhängung, die man schnell griffbereit haben möchte.

3) Kleidungsrolle

Ein Problem, bei dem wir selbst lange gerätselt haben, wie wir am besten damit umgehen, ist die Ersatzkleidung, denn dieses Problem wird in den Quellen nicht dokumentiert. Abgesehen von dem zweiten Paar Schuhe wird Ersatzkleidung dort überhaupt gar nicht erwähnt, ist in unseren Augen aber gerade für längere Reisen anzunehmen: Möglicherweise spricht da unser modernes Hygieneempfinden aus uns, sind wir es doch gewohnt, regelmäßig frische Kleidung und Unterwäsche anzuziehen. Aber auch für den mittelalterlichen Pilger – der übrigens auch durchaus ein Hygieneempfinden hatte! – ist Ersatzkleidung in jedem Falle sinnvoll: Sei es, falls er plötzlich von einem Unwetter überrascht und bis auf die Haut durchnässt wird oder damit er sich zwischendurch an- und abzu“zwiebeln“ kann, um sich dadurch an das aktuelle Wetter anzupassen. Für unsere dreitägige Reise hatten wir zwar einen Wechselsatz dabei, hätten ihn aber eigentlich nicht gebraucht. Doch war unser Wetter so warm, dass wir in unseren Mänteln eingegangen wären, und auch die wollten irgendwo untergebracht werden.

Da es hier an Quellen mangelt, haben wir auf einen modernen Bereich zurückgegriffen, der dem traditionellen Pilgern gar nicht so fern ist, nämlich fahrende Handwerker (man vergleiche „Wallfahrt“ und „Walz“). Auch die reisen mit äußerst geringem Gepäck und sehr begrenzter Wechselkleidung, die sie in einem kleinen Gepäckbündel namens „Charlie“ oder „Charlottenburger“ unterbringen. Der Name leitet sich ab von dem Tuch, das benutzt wird, um die Habseligkeiten darin einzuwickeln. Wir hingegen haben einfach unsere Mäntel verwendet. Alle anderen Kleidungsstücke darauf gelegt und in eine feste Wurst gerollt, waren die Klamotten sicher verpackt und gut durch den Mantelstoff geschützt. Diese Rolle wurde mit zwei Lederriemen oder Bändern verschnürt und ein weiterer Riemen als Tragegurt hindurchgezogen.

Wir brauchten ein bisschen, um die optimale Tragevariante für uns herauszufinden. Am ersten Tag trugen wir das Bündel noch schräg über den Rücken gehängt, das hat sich aber, wiederum wegen der einseitigen Belastung, als sehr unangenehm erwiesen. Sehr viel komfortabler war die Variante, das Bündel entweder waagerecht auf Schulterhöhe zu tragen oder es sich von hinten auf die Hüften zu binden. Gerade letzteres ist eigentlich sehr angenehm, weil die Rolle leicht auf dem Gesäß aufliegt und dadurch zusätzlich gestützt wird.

Fazit: Wenn auch nicht belegt, hat sich die freie Interpretation à la Charlie durchaus als praktikabel erwiesen.

4) Varianten

4.1) Tasche auf beiden Schultern
Die Pilgertasche muss nicht immer schräg über eine Schulter getragen werden, sondern bietet auch verschiedene andere Möglichkeiten. Eine davon ist, sich den Taschenriemen vorne waagerecht über die Brust zu legen und die Tasche dann im Rücken zu tragen wie hier und hier zu sehen. Hat den Vorteil, dass das Gewicht nicht dauerhaft auf einer Schulter aufliegt und sich gleichmäßiger auf den Körper verteilt. Außerdem kann man auf der Brust mehr Gewicht tragen als auf der Schulter. Das geht im Übrigen auch mit der Flasche.

Wir haben die Variante mit unseren Pilgertaschen zwar ausprobiert, aber für nicht wirklich praktikabel befunden. Vielleicht waren unsere Riemen zu lang; jedenfalls rutschte die Tasche immer nach unten. Als sehr praktisch hat sich diese Tragevariante aber für unsere Gepäckrollen erwiesen – da ist der Riemen kürzer und das Gepäck bleibt an Ort und Stelle.

Satteltasche über die Schulter

4.2) (Esels-)Gepäcktaschen
Ein weiteres Phänomen des Gepäcktransports ist ein (Leinen?)beutel der anderen Form: Es handelt sich um eine Doppelbeutel aus einem breiten Leinenstreifen, in der Mitte mit einem Loch für den Kopf und zwei aufgesetzten Taschen an jedem Ende. Wenn man den Kopf hindurchsteckt, hat man vorne vor der Brust und hinten auf dem Rücken zwei Beutel, die viel Stauraum bieten. Auch solche Beutel findet man (seltener) auf zeitgenössischen Abbildungen (bspw. hier und hier). Wir vermuten, dass es sich vielleicht um zweckentfremdete „Satteltaschen“ handelt, die einem Esel über den Rücken gelegt werden konnten – den Ausschnitt für den Kopf musste man natürlich noch ergänzen.

Satteltasche mit Loch und Kopf durch

Wir hatten die Tasche zwar dabei, haben sie aber nicht umfassend getestet, da sie zusammen mit der Gepäckrolle eher hinderlich gewesen wäre. So in etwa sieht es aber aus. Der Nachteil bei dieser Tasche ist auch zudem, dass die beiden Säcke beim Gehen anfangen zu baumeln. Wir haben zwar schon Reenactor gesehen, die links und rechts bei der Satteltasche Schnallen befestigt haben, mit denen dann Vorder- und Rücksack verbunden werden können, und somit das Baumeln verhindert wird, aber dazu haben wir noch keinen Beleg gefunden.


[1] Wohl auf Sankt Jakobs Straßen. Hymnen, Gebete, Lieder und Reim-Gedichte der Jakobuspilgerschaft, hg. v. Fränkische St. Jakobus-Gesellschaft e.V., Würzburg 2008, S. 25-28.

[2] Aus dem Codex Calixtinus (12. Jh.), Buch 1: Predigt Veneranda dies, vgl. Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, hg. v. Klaus Herbers, Stuttgart 2008, S. 21-23.

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