“Awch behelt daz gemell dy gestalt der menschen […]”

Unser Bürgerpaar Lukas und Anneke Vos hat etwas neues für ihren Haushalt, einen neuen repräsentativen Gegenstand, der wie vielleicht nur wenige andere Dinge für das ausgehende 15. Jahrhundert und das aufstrebende Bürgertum steht: ein Porträt![1]

Es handelt sich, wie hoffentlich leicht zu erkennen, um ein Porträt von Mai-Britt bzw. Anneke Vos, es ist ca. 25cm x 30cm groß und mit Ölfarben gemalt, und es bietet den idealen Anlass über mehrere Fragen zu sprechen, die damit einhergehen: Wie steht es mit Bildern im (Spät)mittelalter?[2] Wie ist dieses Bild in der vielfältigen Gruppe der Porträts einzuordnen? Was erzählt uns das Porträt als Genre über das 15. Jahrhundert? Welche Funktion hat es? Und: Wie passt es in unsere Darstellung? (und für die ganz neugierigen wird im Anschluss auch genauer auf die Herstellung dieses Ölbildes eingegangen).

Los geht’s!

Man kann immer wieder von einem „bilderarmen Mittelalter“ lesen, in dem bildliche Darstellungen jeglicher Art nur in Kirchen zu sehen gewesen wären. Aber dem war nicht so: Da der Begriff ‘Bild’ zunächst einmal nichts anderes beschreibt als ein Ab-Bild von Dingen, und gar nicht unbedingt ein Gemälde eines großen Künstlers, sind nämlich viele Formen von Bildern mit in Betracht zu ziehen. Bilder waren überall – öffentlich oder privat, gemalt oder gegossen, geschnitzt oder gestickt, in Kirchen oder an öffentlichen Gebäuden wie Rathäusern, ob als Wappen und Fahnen, als Zinnabzeichen oder Stickereien, und sogar als Graffiti (ja, das gab es auch schon damals! Eine Beispielsammlung findet ihr hier) – oder eben wie hier als Gemälde. Als „Federproben“ bezeichnete skizzenhafte Zeichnungen in mittelalterlichen Büchern lassen zudem darauf schließen, dass man auch damals schon ‘vereinfachte’ Bilder von Menschen kannte, wie heute die Strichmännchen. Nicht jeder konnte diese Dinge gleichermaßen besitzen, anfertigen, oder in Auftrag geben, aber auch ein armer Mensch kannte Bilder – und eben nicht nur in Kirchen. Bilder waren in Folge dessen viel verbreiteter als manchmal behauptet.

Federprobe in einem Frühdruck

Das Porträt als solches

Doch was macht nun ein Porträt aus? Porträts sind, so definieren es Kunstlexika, gemalte oder gezeichnete Abbilder von Personen, mit dem Zweck, deren Essenz, ihren Charakter, festzuhalten und zu konservieren. Somit stehen sie der einfachen Skizze einer Person gegenüber, mit der man nicht die Person, sondern beispielsweise einen Typus wie „ein alter Mann“ festhalten möchte, bei dem die Person im Bild zunächst einmal egal ist.[3] Es ist somit sowohl das Gezeigte (die Person) als auch die Absicht (Festhalten einer konkreten Person) entscheidend. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, eine Person abzubilden – von Einzelporträts, über Gruppenporträts, Ganzkörperbilder und Büsten, die Frontal-, aber auch die Silhouettenansicht.

Das Porträt um 1500

Ein italienisches Porträt: Sandro Botticelli: “Weibliches Idealbildnis” (1485/86), Eitempera

Im 15. Jahrhundert änderte sich dann einiges. Nicht nur in der Fertigung, sondern auch was den Stil und den Zweck eines solchen Bildes angeht.[4]

Obwohl schon früher erfunden, setzte sich die Ölfarbe, u.a. durch den flämischen Maler Jan van Eyck (1390–1441), erst im späten Mittelalter durch. Die Ölfarbe ermöglichte gegenüber der vorher üblichen Eitemperamalerei stärker strahlende Farben und durch die längere Trocknungszeit fließendere Übergänge von einem Farbton zum anderen, und vor allem konnte lasierend gearbeitet werden, also mit transparenten Farben in vielen Schichten übereinander gemalt werden, um noch strahlendere Farben zu erlangen. Der Workflow der Maler änderte sich gewaltig. Gleichzeitig kam aus den Niederlanden die Mode eines neuen Blickwinkels: das Halbprofil! und stand somit der bisherigen italienischen Mode der Profilansicht entgegen und setzte sich zunehmend auch in den deutschsprachigen Gebieten durch.

Jan van Eyck: “Mann mit rotem Turban” (1433), Ölfarbe

Auch die Zielgruppe änderte sich. Es waren nun vor allem Bürger, die sich Porträts von sich und ihren Familienangehörigen leisteten. So beispielsweise die Nürnberger Patrizierfamilie Tucher, die nach und nach eine Ahnenreihe anfertigen ließ, von unterschiedlichen Malern über die gesamte zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts hinweg.

Aus einem anderen Kontext heraus entstanden die Porträts von Albrecht Dürers Eltern, bei denen es sich wahrscheinlich um Probestücke und/oder Geschenke handelte. Dennoch zeigen sie uns wohlhabende Personen, denn immerhin war Dürers Vater nicht nur Bürger der Stadt Nürnberg, sondern auch ein erfolgreicher Goldschmied, und auch seine Mutter kam aus einer Goldschmiedefamilie. Es ist dennoch anzunehmen, dass „einfache“ Goldschmiede trotzdem nicht die Zielgruppe von Porträtmalerei waren, und es diese nur aufgrund der Verwandtschaft zum Maler gibt.

Doch wozu?

Welche Funktion hatten die Porträts? Wieso ließ man sich überhaupt malen?

Die Porträts der Familie Tucher entstanden unter anderem zu Hochzeiten – großen Anlässen also, die man in Erinnerung behalten wollte, ähnlich wie man auch heute noch zu solchen Gelegenheiten einen Photographen bestellt.

Albrecht Dürer verstand das Porträt als eine Methode, das Abbild einer Person über deren Tod hinweg zu bewahren.[5] Von ihm stammt auch das Zitat, das als Überschrift dieses Textes dient: “Awch behelt daz gemell dy gestalt der menschen nach jrm sterben”. In Dürers Augen war es also ein Erinnerungsstück, das über den Tod eines Menschen hinauswirken konnte. Ähnlich dachten vermutlich auch die Gemalten selbst und gaben Bilder nicht selten zu diesem Zwecke in Auftrag. Porträts dienten somit wahrscheinlich dem Einfangen dessen, was eine Person ausmacht, und der bewahrenden Erinnerung. Doch über deren Präsentation im Haushalt, oder vielleicht Aufbewahrung bei anderen wichtigen Akten, wissen wir leider nichts genaues oder sicheres.

Albrecht Dürer: “Hans IX. Tucher” und “Felicitas Tucher” (1499)

Kleiner Exkurs: Das Stifterbild

Eine besondere Art von Personendarstellung, die bisweilen leicht mit den gerade beschriebenen sehr privaten Bildern verwechselt werden kann, ist das Stifterbild. Das Stifterbild zeichnet sich durch seine klar definierte Funktion aus, und hat viele Möglichkeiten der Umsetzung, nämlich die Darstellung eines Stifters/Wohltäters/Gönners, der beispielsweise einen Altar in einer Kirche finanziert. Dies kann sowohl eine Einzelperson, aber auch eine Gruppe sein, ein gehauenes Steinbild, aber auch ein gemaltes Porträt. Gemein haben sie die Erinnung an eine Person/Gruppe – wie oben beschrieben auch das Porträt – und die Aufforderung des Gedenkens und Gebets. Das Stifterbild als solches hat eine viel längere Tradition als das private Porträt und lässt sich bereits im frühen Mittelalter in Büchern finden, in denen der Geldgeber abgebildet wurde, beispielsweise in liturgischen Büchern für Klöster. Hier setzt auch der Unterschied ein. Im Fokus des Stifterbilds lag zumindest zu Beginn nicht der Wiedererkennungswert des Bildes an die Person, sondern nur die Tatsache, dass man sich an diese Person erinnert. Daher sind frühe Stifterbilder fast schablonenhafte Figuren; spätere Stifterbilder jedoch ebenso wie die Porträts, sehr realitätsnahe Abbildungen. Eine häufige Art des Stifterbilds im Spätmittelalter und in der anschließenden Frühen Neuzeit tritt in Altarbildern auf, in denen neben der eigentlichen Szene, beispielsweise die Beweinung Christi am Kreuz, die Stifter ebenfalls in der Szene auftauchen.

Rogier van der Weyden: “Kreuzigungstriptychon”, 1440/45
Links neben dem Kreuz sind Maria und Johannes, rechts neben dem Kreuz ist das Stifterpaar dargestellt.

Solche Bilder können zwar aussehen wie “normale” Porträts, aber unterscheiden sich aufgrund ihrer Präsentation und Funktion von den oben beschriebenen Bildern und dem von mir gefertigten, im Folgenden beschriebenen, Porträt. Vielleicht kommen wir aber ein anderes Mal durch ein anderes Projekt wieder auf das Genre Stifterbild zurück.

Das Porträt von Anneke

Wie fügt sich dies jetzt in unsere Darstellung als bürgerliches Ehepaar ein? Auf dem 30x25cm großen Ölgemälde ist Anneke Vos in ihrem Sonntagsstaat, dem roten Stehfaltenkleid, vor einem dunkelgrünen Hintergrund, der zum Rand hin nach Schwarz verläuft, zu sehen. Sie trägt Schleier mit Brosche und Schleiernadel mit Perle und Brusttuch. Sie ist, wie es Mode war, im Halbprofil gezeigt und sie schaut aus ihrer Perspektive nach vorn. In der oberen linken Ecke steht ein Leitspruch „Du most en vos sin in dusse werlt“ und die Datierung des Bilds „Anno MMXIX“, in der rechten oberen Ecke ist das Monogramm des Malers und ein weiterer Spruch „ewenlike din“.[6] Die Farbgebung entspricht in etwa der vom Porträt von Dürers Mutter – rotes Kleid, weiße Haube, grüner Hintergrund – und die Maße sind nah an den Porträts der Tucher’schen Ahnenreihe aus Albrecht Dürers Werkstatt (Elsbeth Tucher: 29,1cm x 23,3cm; Hans XI. Tucher: 29,7cm x 24,7cm; Felicitas Tucher: 29,8cm x 24,4cm). Vom Stil (meine Anfängerfehler seien mir verziehen!), Motiv und Format fügt es sich ideal in die Nürnberger Gepflogenheiten um 1500 ein und es hätte so oder so ähnlich damals existiert haben können.

Und im Norden?

Tja, im Norden gibt es Porträts wie die der Tuchers oder der Dürer-Eltern in dieser Form im ausgehenden 15. Jahrhundert zunächst einmal nicht. Wie ist es also nun zu erklären, dass sich ein solches Porträt im Besitz der Familie Vos befindet? Lassen sich die süddeutschen Gepflogenheiten einfach so mir nichts, dir nichts auf unsere Situation übertragen? Schließlich kommen wir nicht aus Nürnberg, sondern aus Lübeck; sind keine Goldschmiede, sondern Buchhandwerker und -drucker. Zugegeben: Die Frage ist berechtigt. Tatsächlich bieten sich aber viele Erklärungsmöglichkeiten, die unter anderem mit der Situation des Buchhandwerkerberufs zusammenhängen.

Wilm Dedeke: “Hermann Langenbeck”, um 1515

Natürlich ist das Porträt auch in Norddeutschland zu der Zeit nicht unbekannt, jedoch seltener. Viele optisch ähnliche Bilder aus Lübeck und Hamburg stellen sich doch als Stifterbilder heraus, bei denen die zweite Hälfte verloren ging, wie beim Porträt vom Hamburger Bürgermeister Langenbeck von 1515 vermutet wird. Zwar zeigt das Bild vom Aufbau Ähnlichkeiten zu den Tucher’schen Porträts, jedoch wird angenommen, dass zum Bild Hermann Langenbecks eine Darstellung von Maria gehört, die auf einem separaten Bild auf der gegenüberliegenden Seite gezeigt gewesen wäre.

Rogier van der Weyden: “[Porträt einer Frau mit einer Flügelhaube]”, um 1430

Portäts die für sich allein standen, sind jedoch wieder weiter im Westen, in der flämischen Malerei vertreten, beispielsweise von Jan van Eyck oder Rogier van der Weyden. Leider fehlen uns heute aber häufig Inforationen zu den Personen hinter den Porträts, und somit auch die Informationen um die Funktion und Präsentation.

Gänzlich unbekannt werden Porträts in Lübeck zu “unserer Zeit” nicht gewesen sein.

Buchdrucker sind in der Anfangsphase ein relativ mobiler Beruf, besonders in der Ausbildungsphase. So kam der Lübecker Buchdrucker Bartholomäus Ghotan ursprünglich aus Magdeburg, und der Lübecker Drucker Steffen Arndes war in Italien aktiv, ehe er nach Lübeck kam. Eine Reise von unserem Ehepaar Vos in den süddeutschen Raum, eine Herkunft dort, geschäftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen dorthin sind nicht auszuschließen.

Gleichzeitig ist der Beruf des Buchhandwerkers und -druckers durchaus ein gewinnträchtiger. Es gibt nicht wenige Drucker im 15. Jahrhundert, die sich mit ihrem Handwerk eine goldene Nase verdient haben – das Gegenteil konnte übrigens auch der Fall sein. Aber auch für mittelständische Handwerker war es durchaus möglich, in den Besitz solch eines Bildnisses zu kommen, wie wir an den beiden Dürer-Porträts gesehen haben.

Und ebenfalls zeigt der Beruf des Buchdruckers eine gewisse berufliche Nähe zu anderen Handwerken, beispielsweise dem Beruf des Malers und Formschnitzers – oder eben auch des Goldschmieds. So soll der berühmteste Drucker des 15. Jahrhunderts, Mr. ‘Erfinder-des-Drucks-mit-beweglichen-Lettern’, Johannes Gutenberg himself, ebenfalls ursprünglich Goldschmied gewesen sein – ähnlich wie Dürers Eltern.

Es gibt also durchaus mehr als eine Möglichkeit, wie die Lübecker Buchhandwerker Lukas und Anneke Vos an solch ein Bildnis gekommen sein könnten.

Und so wurde es gemacht

Als Grundlage diente ein Photo von einem Wochenende im Mittelalterhaus Nienover, bei dem wir schon direkt der Meinung waren, dass es einem Gemälde aus Dürers Zeiten ähnlich sehen würde. Und da ich schon lange mal mit Ölfarben malen wollte, dachte ich, es wäre den Versuch wert, es einfach mal zu probieren, und was eignet sich besser als Vorlage für ein Gemälde als ein Photo, das eh schon nach Gemälde aussieht! Der Malgrund war, da es eine spontane Idee war und ich es bei dem ersten Versuch nicht direkt übertreiben wollte, eine moderne vorgespannte und vorgrundierte Leinwand. Korrekt für die Zeit wäre ein Holzbrett gewesen, das grundiert wird, oder auf das Leinwand gespannt wird und dann grundiert.

Albrecht Dürer: Anleitung zum perspektivischen Malen (um 1525)

Zum Übertragen des Bildes vom Laptopbildschirm auf die Leinwand nutzte ich ein Gitternetz, das ich zum einen über das digitale Photo legte und zum anderen leicht mit Bleistift auf die Leinwand zeichnete. Diese Methode – nur ohne Computer, aber trotzdem mit Gitternetz über dem Motiv und auf dem Blatt – wird auch von Albrecht Dürer in seinem Werk „Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt“ beschrieben. Im Anschluss verwendete ich Ölfarben, wie sie auch im 15. Jahrhundert zur Verfügung standen, und umging moderne Pigmente so weit es möglich war. Da ich noch neu mit dem Medium war, probierte ich sowohl Alla Prima (man malt direkt deckend, was am Ende dort sein soll) als auch lasierend (eine transparente Schicht auf der anderen, um nach und nach eine kräftige Farbe zu bekommen). Die verwendeten Farben sind: Bleiweiß, Lampenschwarz, gebrannte und rohe Umbra, Lichter Ocker, Karminrot, Rote Erde, Zinnober, Grüne Erde, Ultramarin und, als Zugeständnis, da ich kein ungiftiges, authentisches, strahlendes Gelb hatte, „Zitronengelb“. Sikkative habe ich nur 3–4 mal verwendet, da ich damit nicht warm wurde. Es ist nahezu kein reiner Farbton auf dem fertigen Bild, sondern es sind alles auf die ein oder andere Weise gemischte Farben. Im nächsten Schritt, nachdem alle Farben durchgetrocknet sind (das kann bei Ölfarben leider Monate dauern), nehme ich die Leinwand vom Rahmen ab und befestige sie auf einem entsprechenden Holzbrett, um wenigstens nachträglich das Trägermaterial authentischer zu machen. Zu dem Zeitpunkt bekommt das Bild auch seinen schützenden Firnisanstrich.

Das Bild ist etwas ganz besonderes, sowohl aus der Perspektive des mittelalterlichen Lukas Vos als auch aus der Sicht des modernen Philipp, und es hat mir einen unheimlichen Spaß gemacht, es zu malen. Und auch, wenn ich als Lukas ein Buchdrucker/Buchbinder bin, wird es definitiv nicht mein letztes ‘mittelalterliches’ Gemälde bleiben 😉


[1] Vgl. Bildnis (2004). In: Harald Olbrich (Hg.): Lexikon der Kunst. Band 1: A – Cim. Leipzig: Seemann, S. 558ff., hier S. 560.

[2] Sowohl „Bild“ als auch „Spätmittelalter“ sind zwei enorm weitreichende Begriffe, weshalb die Antworten hierauf nicht umfassend, sondern zweckdienlich zu verstehen sind.

[3] Vgl. Bildnis (2004); vgl. Bildnis (1994). In: Wolf Stadler (Hg.): Lexikon der Kunst : Malerei, Architektur, Bildhauerkunst. Lexikon der Kunst in zwölf Bänden. Erlangen: Karl Müller, S. 172–177.

[4] Da sich im 15. Jahrhundert in der Kunst sehr viel änderte, und vieles davon ineinandergriff und sich gegenseitig bedingte, möchte und kann ich an dieser Stelle, damit es noch übersichtlich bleibt, nur die wichtigsten Punkte nennen.

[5] Campbell, Lorne (1998): Portraiture. In: Jane Turner (Hg.): The dictionary of art. Vol. 25: Pittoni to Raphael. Reprinted with minor corrections. New York, NY, London: Grove; Macmillan, S. 273–287, hier S. 276

[6] Diese Elemente stellen leichte Anachronismen dar, da dieses Bild nicht nur ein Requisit für unsere Darstellung ist, sondern auch ein Geschenk von Philipp an Mai-Britt, weswegen die Datierung das Jahr 2019 nennt und das Monogramm das Kürzel von Philipp ist.

Die Wickelkerze – es werde Memling!

War das Mittelalter dunkel? Auch schon lange vor der Erfindung der Glühbirne gab es zahlreiche Möglichkeiten, Licht zu machen. Eine davon stellen wir euch hier vor.

Licht hat seit Menschengedenken eine ganz besondere Bedeutung. Der Tag ist die vorrangig aktive Zeit, die Sonne spendet Wärme, und das Feuer, als künstliche Lichtquelle, ist eines der ersten Kulturobjekte, das sowohl schützen als auch verletzten kann: Es macht kaltes Klima erträglich, bestimmte Nahrungsmittel erst zu solchen, es verlängert künstlich den Tag und bringt Licht in ansonsten dunkle Räume. Künstliches Licht hat den Menschen unabhängig(er) gemacht von Tag und Nacht, Sommer und Winter.

Neben seiner lebensnotwendigen Funktion hat Licht aber auch eine kulturelle Bedeutung. Diese ist schon lange vor dem Mittelalter an Religion und Kult gebunden. Die obersten Gottheiten vieler Religionen sind Sonnengötter, hinter Stonehenge wird ein Sonnenkalender vermutet und auch im Christentum, der vorherrschenden Religion im europäischen Mittelalter, spielt Licht eine zentrale Rolle: Am ersten Tag schuf Gott Tag und Nacht, der Altar in Kirchen steht im Osten Richtung Sonnenaufgang, zu Pfingsten standen den Aposteln Feuerzungen über den Köpfen, und an Ostern wird die Osterkerze entzündet.

Auch im Mittelalter waren Licht und Feuer wichtige Grundlage für das Leben der Menschen. Gerade in den Häusern, die erst ab dem Spätmittelalter, und dann immer noch selten, über Fensterscheiben verfügten, brauchte es künstliche Lichtquellen, wenn man mit dem Sonnenlicht nicht auch gleichzeitig Wind und Wetter im Haus haben wollte. Unerlässlich war natürlich das Herdfeuer, denn es spendete Wärme und man kochte darauf. Da es aber fest an den Herd gebunden war, konnte es nicht überall im Haus Licht spenden.

Während der Arbeit konnte man sich Kienspäne auch in den Mund Stecken, um die Hände frei zu haben. Die Halterungen aus meist Ton, die sich an diesem Gebrauch orientierten und ein Gesicht mit einem offenen Mund darstellten, wurden als Maulaffen (offenes Maul) bezeichnet. Abb.: Olaus Magnus Historia om de nordiska folken.

Daneben gab es Kienspäne und Talglichter. Kienspäne sind sehr harzhaltige Holzspäne, meistens aus Kiefer, die man an einem Ende anzünden und am anderen Ende festhalten oder in einen Halter stecken konnte (das sind die noch heute sprichwörtlich bekannten ‘Maulaffen’). Je nach Winkel brannte die Flamme heller oder dunkler, schneller oder weniger schnell. Kienspäne geben eine kleine, aber stete Flamme, rußen allerdings recht stark. Talglampen bestanden aus Talg, also Tierfett, das in Gefäße abgefüllt und mit einem Docht versehen oder selbst in Kerzenform gebracht wurde. Auch sie brennen recht rußig und tropfen stark.

Sehr viel eleganter war die Wachskerze, allerdings auch ungleich teurer und damit sehr viel seltener. Wachs wurde im Mittelalter aus den Waben der Bienen produziert. Die Qualität konnte wechseln, von sehr reinem, weißen Wachs, zu schlechterem gelben Wachs. Das beeinflusste natürlich auch den Preis. Obwohl Wachskerzen in Westeuropa sehr beliebt waren und ab der Zeit von Karl dem Großen verstärkt auf die Wachsproduktion im Reich gesetzt wurde, konnte sogar bis ins 14. Jahrhundert hinein nicht auf Wachsimport aus Osteuropa verzichtet werden. Wachs war in der Regel also ein begrenzter Rohstoff, was den Preis noch einmal erhöhte.

Wachskerzen begegneten vor allem in Kirchen, doch auch die Kirche konnte das nicht allein finanzieren. Daher stellten Wachsspenden eine beliebte Gabe von Gläubigen dar, die etwas für ihr Seelenheil tun wollten. Wachs selbst hat eine religiöse Bedeutung. Seit dem frühen Christentum symbolisierten die Biene und der Bienenstaat das irdische Paradies, eine Gesellschaft, in der jeder eine feste Funktion hat und diese zum Wohl der Allgemeinheit erfüllt. Das Wachs selbst symbolisierte Maria und das Licht der Wachskerzen Christus. Wachskerzen waren im Christentum hoch symbolisch aufgeladen und nur sie waren für die Eucharistiefeier zugelassen.

Daneben begegnen Wachskerzen auch im weltlichen Kontext (allerdings nie in so großer Zahl, wie es in ‘Mittelalter’-Filmen gerne dargestellt wird 😉 ). Ein solches Beispiel wollen wir euch hier gerne vorstellen: die Wickelkerze à la Hans Memling.

Wie zeigt man die Exklusivität eines Gegenstandes, der schon aus einem besonderen Material besteht? Man gibt ihm eine Form, die hervorsticht! Und genau das passiert bei der Wickelkerze. Der Begriff stammt übrigens von uns – in Ermangelung eines aussagekräftigen Quellenterminus.

Bei der Wickelkerze handelt es sich um eine sehr lange, sehr dünne ‘Endlos’-Kerze, die um sich selbst herum zu einem “Knäuel” gewunden wird. Wenn man sie anzündet, kann man sie abschnittsweise wieder abwickeln und erhält dadurch eine kleine stete Flamme mit langer Brenndauer, ideal beispielsweise als Leselicht, wie es auch oft auf Abbildungen zu sehen ist. Auch beim Gebet wird sie dargestellt, was noch einmal den hohen Wert dieser Kerzenform betont.

Es gibt sie in verschiedenen Formen: rund und breit wie Stumpenkerzen, flach und rechteckig wie ein Kissen, nach oben und unten ausladend, und in verschiedenen Farben. Sie ähnelt modernen Wachsstöcken (in Österreich und in der Schweiz als Wachsrodel bezeichnet), die heute nur noch selten, vor allem in katholischen Regionen, als Votivgaben anzutreffen sind. Auch diese werden noch immer aus Bienenwachs hergestellt.

Ausschnitt: Hans Memling, Mariä Verkündigung, um 1480 (Ganzansicht)

Besondere Beliebtheit genossen die Wickelkerzen beim Maler Hans Memling (* zwischen 1433 und 1440, † 1494), auf dessen Altarbild zu Mariä Verkündigung wir sie auch das erste Mal sahen. Sie ist dort in einem bürgerlichen, häuslichen Kontext dargestellt.

Damit passte die Kerze natürlich optimal in unsere stat loff-Darstellung! Das Problem ist, dass diese Kerzenform heute nicht mehr hergestellt wird; dementsprechend selten ist sie auch in Living History-Darstellungen vertreten. Uns blieb also nur Selbermachen.

Als Material nutzen wir Wachsstockschnüre, die man in der Tat noch so im Handel erwerben kann. Rekonstruktionsgrundlage waren diverse spätmittelalterliche Abbilungen, vor allem die Memling-Bilder. Es galt nun, die Wickeltechnik zu rekonstruieren. Das war gar nicht so einfach, denn trotz der detaillierten und häufig sehr naturalistischen Darstellungen der Spätgotik und Frührenaissance, waren die Maler bei den Kerzendarstellungen doch manchmal recht frei – was sie als Kerze präsentierten, ließ sich praktisch gar nicht nachbauen. Schlussendlich konnten wir eine Technik rekonstruieren, deren Ergebnis den Abbildungen äußerst nahe kommt. Wie wir es gemacht haben, ist schriftlich leider schwierig zu erklären, daher gibt es hier unser Video:

Weiterführende Literatur (Auswahl):

Chrzanovski, Laurent und Kaiser, Peter (Hrsg.): Dark ages? Licht im Mittelalter/ L’éclairage au Moyen Âge, Olten 2007 [LINK]

Stützel, Peter Heinz: Wachs als Rohstoff, Produkt und Handelsware. Hildebrand Veckinchusen und der Wachshandel im Hanseraum von 1399 bis 1421, univ. Diss, Würzburg 2013 [LINK]

Die Hoyke – der norddeutsche (Festtags-)Mantel

[Originalpost vom 2. April 2017. Bearbeitet am 2. Juni 2019]

Was trug die norddeutsche Bürgerin im Spätmittelalter, wenn sie das Haus verließ? Gab es im Mittelalter schon Ausgeh-Outfits? Und wenn ja, wie sahen sie aus? Die Antwort darauf seht ihr auf den Fotos und sie nennt sich Hoyke!

Zeichnung einer Schaube im Wolfeggschen Hausbuch, um 1480

Schon oft wurden wir gefragt, was denn die spätmittelalterliche Kleidung im Norden Deutschlands von der im Süden unterscheidet. Die Antwort: So viele Unterschiede gibt es gar nicht. Einer jedoch – und der ist besonders deutlich – ist der Damenmantel. Während Frauen im Süden vor allem in Schaube abgebildet wurden, einer Art langem Übermantel mit Ärmeln und Kragen, und auch viele Männer im Norden Schauben tragen, so berichten die Quellen für die Damen des Nordens von einer anderen Mantelform: der Hoyke.[1]

In diesem Blogpost geht es um drei Fragen: Was ist die Hoyke? Wie sah sie aus? Und zu welchen Anlässen wurde die Hoyke wie und von wem getragen? Hierbei wird uns ein Aspekt die ganze Zeit begleiten, nämlich das Quellenproblem. Abschließend möchte ich euch kurz einen Rekonstruktionsversuch vorstellen, den ich im Sommer 2016 gemacht habe.

Der Mantel: ein vielseitiges Kleidungsstück

Schon seit jeher trägt der Mensch Überbekleidung, um sich gegen die Widrigkeiten von Wind und Wetter zu schützen: einen Mantel. Mäntel gibt es über Jahrhunderte hinweg, die Form kann jedoch variieren. Von rechteckigen Tüchern, die man sich um den Körper schlang, über Halb- und Vollkreismäntel, bodenlang oder nur bis zur Hüfte, auf der Schulter oder vor der Brust geschlossen, mit und ohne Ärmel.

Der Mantel war aber nicht nur Wetterschutz, konnte nicht nur verhüllen, sondern wurde auch schon früh als dekoratives Kleidungsstück verwendet. Je nach Ausstattung konnte er dabei auch etwas über den Wohlstand seines Trägers bzw. seiner Trägerin aussagen (zum Beispiel durch Farbe, Stoffqualität, Stoffmenge, Schmuckelemente und Pelzbesatz) oder sogar über dessen Funktion. So lässt sich beispielsweise an liturgischen Übergewändern oft erkennen, welche Rolle der Träger in der Messe spielt. In der mittelalterlichen Stadt regeln Kleiderordnungen, wie der Mantel, je nach Vermögem seines Besitzers und seiner Besitzerin, aussehen darf. An ihm lässt sich also deutlich der Reichtum (oder die Armut) des Trägers ablesen.

Hoyke? Was ist das?

Die Hoyke taucht in den norddeutschen Schriftquellen sehr häufig auf. Der Begriff begegnet im Niederdeutschen bereits seit dem 14. Jahrhundert, so in Halberstadt 1370 und 1400. Bürgerliche Inventarverzeichnisse, beispielsweise aus Göttingen, deuten darauf hin, dass jede Frau mindestens einen solchen Mantel besessen hat.

Obwohl die Hoyke in der schriftlichen Überlieferung so häufig auftritt, gab ihr Aussehen der Forschung bisher noch Rätsel auf: Einige Textbelege deuteten auf einen Mantel hin, andere eher auf eine Kopfbedeckung.[2] Zeitgenössische Darstellungen der Hoyke waren bis dato aber nicht bekannt.

Das gestaltete die Recherche auch für mich anfangs sehr schwierig. Genau genommen wusste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Als guter Ansatzpunkt hat sich hier erwiesen, Vergleichsbeispiele in anderen Räumen und Zeiten zu suchen.

… und wie sah sie aus?

Erstmals fündig wurde ich in den Niederlanden: Auf niederländischen Gemälden findet sich seit dem 16. Jahrhundert häufig ein Mantel, der als „Heuke“ bezeichnet wird. Die Bildquellen sind zahlreich: Es handelt sich um einen faltenreichen, ärmellosen Mantel, meist schwarz, etwas länger als wadenlang und mit einem Stehkragen versehen. Dieser Stehkragen konnte unterschiedliche Formen haben, von lang, schmal und schnabelförmig zu eher breit und rechteckig. Das Spannende an diesem Kleidungsstück: Es wird häufig auf dem Kopf getragen, sodass der Kragen wie der Schirm einer Schirmmütze über die Stirn hinausragt.

Und tatsächlich konnte ich kurz später auch eine Darstellung von zwei Lübecker Frauen aus dem 16. Jahrhundert auftun, die eine sehr ähnliche Mantelform tragen. Zwar fehlen die ‚Schnabelkrägen‘, dafür gibt es auch hier die vielen Falten und der Mantel wird auf dem Kopf getragen.

Allerdings stammten alle diese Bildbelege aus nachmittelalterlicher Zeit. Schriftlich belegt ist die Hoyke ja aber schon viel früher.

Der entscheidende Hinweis war dann – wie so oft – ein Zufallsfund. In der illustrierten Handschrift des Hamburger Stadtrechts von 1497[1] begegnen in mehreren Abbildungen Frauen mit langen, faltenreichen Mänteln, häufig in rot oder grün, manchmal auch Pelzverbrämt. Hier ist zwar nur eine Trageweise abgebildet, nämlich die auf den Schultern, aber dafür finden wir hier die gleichen abstehenden Krägen wie sie schon auf den niederländischen Darstellungen begegnen. Da ist sie also: die niederdeutsche Hoyke!

Mittlerweile sind fast drei Jahre ins Land gegangen und ich habe ‚die Jagd nach der Hoyke‘ zu meinem ganz persönlichen Auftrag erklärt. Ein paar weitere Bildquellen konnte ich mittlerweile tatsächlich noch ausmachen. Sie reichen allerdings nicht vor das späte 15. Jahrhundert zurück.

Die Verwendung

Was wissen wir aber über die Verwendung der Hoyke? Abgesehen davon, dass sie in erschlagender Zahl in den Textquellen begegnet, leider recht wenig. Sowohl die schriftliche Überlieferung als auch die Bildbelege, die ab dem 15. Jahrhundert einsetzen, deuten darauf hin, dass der Mantel vor allem im städtisch-bürgerlichen Kontext verwendet wurde, und das ausschließlich von Frauen. Obwohl die bekannten Abbildungen alle aus dem Bereich der gehobenen Mittel- bis Oberschicht stammen, so belegt die Schriftüberlieferung doch, dass der Mantel von allen Schichten verwendet wurde. Ob er dabei immer die gleiche Form hatte, kann ich nicht sagen, doch kann man die Hoyke mit Details wie der Tuchqualität oder einer Pelzverbrämung an den jeweiligen Stand anpassen, ohne die Form zu verändern. Die Farbe (hier begegnen vor allem schwarz, rot und grün) und der Schnabel scheinen hingegen eher lokale Eigenheiten zu sein.

Und zu welchen Gelegenheiten wurde sie getragen? Gute Frage! Die hohe Anzahl, mit der die Hoyke in den Schriftquellen belegt ist, lässt vermuten, dass sie durchaus oft verwendet wurde. Die Form allerdings mit dem schweren faltenreichen Stoff und ohne Verschluss macht den Mantel nicht unbedingt praktisch. Er ist definitiv nicht zum Arbeiten gedacht, sondern eher zum Gehen und zum Stehen – also kein Alltags-, sondern vielleicht eher ein Festtagsmantel. Dazu passen viele der Abbildungen, die den Mantel bei Kirchgängen, Taufen, Hochzeiten und bei öffentlichen Versammlungen zeigen. Dass er mehrmals in Stifterbildern auftaucht, wo sich die Stifterin natürlich besonders fromm und demütig zeigen möchte, passt ebenfalls in diesen Zusammenhang.

Und warum auf dem Kopf? Diese Frage ist sogar noch besser! Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei um einen eingebauten Regenschutz handelt. Ich halte das eher für unwahrscheinlich aus drei Gründen:

  • 1) ist der Mantel recht schwer und – zumindest meinem Erfahrungswert nach – nicht lange auf dem Kopf zu tragen
  • 2) geht Regen meistens mit Wind einher, und der Mantel wäre aufgrund seiner Stofffülle unter diesen Umständen kaum noch zu händeln. Gerade die prächtigen Ausführungen mit Hermelinbesatz wären auch eigentlich zu schade, um sie als Regenmantel zu verwenden!
  • 3) Zeigen viele der Frauen auf den Abbildungen gestärkte Hauben. Die lassen eher vermuten, dass sie den Mantel gar nicht auf dem Kopf getragen haben (diese Haubenformen sind übrigens eine Sache, der ich bei Gelegenheit noch einmal nachgehen werde…)

Ich vermute also eher, dass es sich um einen derjenigen modischen ‚Abnormitäten‘ handelt, die man sich heute rational kaum erklären kann, die aber von den Zeitgenossen selten hinterfragt wurden (ich erinnere nur an solche Beispiele wie Schamkapseln… oder High Heels…).

Die Rekonstruktion

Meine Rekonstruktion stammt wie gesagt von 2016 und war ein erster Versuch auf Basis einer sehr begrenzten Quellenlage. Mittlerweile kenne ich sehr viel mehr Bildbelege und würde einiges anders machen. Nichtsdestotrotz sei sie hier vorgestellt:

Ich entschied mich für schwarzen Wollstoff, denn schwarz war die Hauptfarbe in den Göttinger Inventaren, an denen ich mich für diesen Erstversuch orientierte. Als Schnitt wählte ich einen Halbkreis, den ich aber in der Mitte um den Halsausschnitt herum etwas in die Breite „verzerrte“, um genügend Spielraum für die Falten zu haben. Hieran wurde dann der Kragen angesetzt. Um ihn steif zu bekommen, habe ich ihn mit mehreren Lagen festen Leinenstoffs zwischengefüttert.

Optisch ist das Ergebnis durchaus überzeugend, und kommt den Bildbelegen, die ich damals zur Verfügung hatte, recht nahe. Ich kann den Mantel in beiden Varianten tragen, doch offen gestanden, ist die Tragevariante auf dem Kopf auf Dauer nicht sonderlich bequem. Der Mantel ist recht schwer und zieht die Haube mit seinem Gewicht nach hinten. Die Lösung, um den Kragen zu versteifen, wäre vermutlich noch optimierbar. Hier habe ich bisher aber noch keine geeignete Alternative gefunden. Mehr Falten wären ebenfalls möglich – da ist meine Version verglichen mit einigen der Lübecker Abbildungen schon sehr bescheiden.

Außerdem habe ich darüber nachgedacht, den Mantel zu füttern. Ich denke, dass das für ein vermutlich doch recht repräsentatives Kleidungsstück angebracht wäre, doch hatte ich mich für diesen Erstversuch aus rein praktischen Gründen dagegen entschieden. Gewichtsmäßig hätte ich ihn dann gar nicht mehr auf dem Kopf tragen können.

Ihr merkt, ich bin mit dieser ersten Rekonstruktion nicht (mehr) ganz zufrieden. Würde ich heute einen zweiten Versuch starten, dann würde ich vermutlich einen dünneren und feineren Oberstoff verwenden (dann fallen auch automatisch fie Falten feiner!), ein dünnes Wollfutter einziehen oder eine Pelzverbrämung, und vielleicht auch den Kragen verkleinern oder weglassen, denn er streitet sich doch recht häufig mit meiner Haube.

Das Fazit

Die Hoyke ist für die norddeutsche Frau des späten Mittelalters die Überbekleidung schlechthin! Obwohl sie erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts in den Bildquellen auftaucht, ist sie in der schriftlichen Überlieferung schon seit dem 14. Jahrhundert belegt. Sie wurde in den Städten von allen Gesellschaftsschichten verwendet, denn sie ließ sich ganz einfach an jeden Geldbeutel anpassen. Farbe und Kragenform scheinen lokale Besonderheiten gewesen zu sein. Dabei war sie vor allem Festtagsmantel. Als Wetterschutz wird sie nur in Ausnahmefällen gedient haben.

Die Hoyke ist ein ganz besonderes Kleidungsstück und eines der wenigen, wo sich ganz klar ein Unterschied in der Mode zwischen Nord- und Süddeutschland zeigt. Obwohl die Hoyke sicher nicht zu den praktischsten Kleidungsstücken gehört, so ist sie doch auch in heutigen Augen noch auf jeden Fall ein Hingucker. Und wer schön sein will, muss bekanntlich leiden! 😉


[1] Mit der auf der Schulter geschlossenen Heuke, die als Männermantel bekannt ist und auch im Süden Verwendung fand, ist diese Hoyke nicht direkt verwandt. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Mantelformen.

[1] vgl. Binder, Beate: Illustriertes Recht. Die Miniaturen des Hamburger Stadtrechts von 1497 (Veröffentlichungen des Vereins für hamburgfische Geschichte 23), Hamburg 1988, Taf. C, D, F, J.

[2] vgl. Lindskog-Walleburg, Gudrun: Bezeichnungen für Frauenkleidungsstücke und Kleiderschmuck im Mittelniederdeutschen. Zugleich ein Beitrag zur Kostümkunde, 2., überarb. Auflage Berlin 1977 (Göteborger Germanistische Dissertationsreihe 5), S. 63 ff.).