[Originalpost vom 2. April 2017. Bearbeitet am 2. Juni 2019]
Was trug die norddeutsche Bürgerin im Spätmittelalter, wenn sie das Haus verließ? Gab es im Mittelalter schon Ausgeh-Outfits? Und wenn ja, wie sahen sie aus? Die Antwort darauf seht ihr auf den Fotos und sie nennt sich Hoyke!
Schon oft wurden wir gefragt, was denn die spätmittelalterliche Kleidung im Norden Deutschlands von der im Süden unterscheidet. Die Antwort: So viele Unterschiede gibt es gar nicht. Einer jedoch – und der ist besonders deutlich – ist der Damenmantel. Während Frauen im Süden vor allem in Schaube abgebildet wurden, einer Art langem Übermantel mit Ärmeln und Kragen, und auch viele Männer im Norden Schauben tragen, so berichten die Quellen für die Damen des Nordens von einer anderen Mantelform: der Hoyke.[1]
In diesem Blogpost geht es um drei Fragen: Was ist die Hoyke? Wie sah sie aus? Und zu welchen Anlässen wurde die Hoyke wie und von wem getragen? Hierbei wird uns ein Aspekt die ganze Zeit begleiten, nämlich das Quellenproblem. Abschließend möchte ich euch kurz einen Rekonstruktionsversuch vorstellen, den ich im Sommer 2016 gemacht habe.
Der Mantel: ein vielseitiges Kleidungsstück
Schon seit jeher trägt der Mensch Überbekleidung, um sich gegen die Widrigkeiten von Wind und Wetter zu schützen: einen Mantel. Mäntel gibt es über Jahrhunderte hinweg, die Form kann jedoch variieren. Von rechteckigen Tüchern, die man sich um den Körper schlang, über Halb- und Vollkreismäntel, bodenlang oder nur bis zur Hüfte, auf der Schulter oder vor der Brust geschlossen, mit und ohne Ärmel.
Der Mantel war aber nicht nur Wetterschutz, konnte nicht nur verhüllen, sondern wurde auch schon früh als dekoratives Kleidungsstück verwendet. Je nach Ausstattung konnte er dabei auch etwas über den Wohlstand seines Trägers bzw. seiner Trägerin aussagen (zum Beispiel durch Farbe, Stoffqualität, Stoffmenge, Schmuckelemente und Pelzbesatz) oder sogar über dessen Funktion. So lässt sich beispielsweise an liturgischen Übergewändern oft erkennen, welche Rolle der Träger in der Messe spielt. In der mittelalterlichen Stadt regeln Kleiderordnungen, wie der Mantel, je nach Vermögem seines Besitzers und seiner Besitzerin, aussehen darf. An ihm lässt sich also deutlich der Reichtum (oder die Armut) des Trägers ablesen.
Hoyke? Was ist das?
Die Hoyke taucht in den norddeutschen Schriftquellen sehr häufig auf. Der Begriff begegnet im Niederdeutschen bereits seit dem 14. Jahrhundert, so in Halberstadt 1370 und 1400. Bürgerliche Inventarverzeichnisse, beispielsweise aus Göttingen, deuten darauf hin, dass jede Frau mindestens einen solchen Mantel besessen hat.
Obwohl die Hoyke in der schriftlichen Überlieferung so häufig auftritt, gab ihr Aussehen der Forschung bisher noch Rätsel auf: Einige Textbelege deuteten auf einen Mantel hin, andere eher auf eine Kopfbedeckung.[2] Zeitgenössische Darstellungen der Hoyke waren bis dato aber nicht bekannt.
Das gestaltete die Recherche auch für mich anfangs sehr schwierig. Genau genommen wusste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Als guter Ansatzpunkt hat sich hier erwiesen, Vergleichsbeispiele in anderen Räumen und Zeiten zu suchen.
… und wie sah sie aus?
Erstmals fündig wurde ich in den Niederlanden: Auf niederländischen Gemälden findet sich seit dem 16. Jahrhundert häufig ein Mantel, der als „Heuke“ bezeichnet wird. Die Bildquellen sind zahlreich: Es handelt sich um einen faltenreichen, ärmellosen Mantel, meist schwarz, etwas länger als wadenlang und mit einem Stehkragen versehen. Dieser Stehkragen konnte unterschiedliche Formen haben, von lang, schmal und schnabelförmig zu eher breit und rechteckig. Das Spannende an diesem Kleidungsstück: Es wird häufig auf dem Kopf getragen, sodass der Kragen wie der Schirm einer Schirmmütze über die Stirn hinausragt.
Und tatsächlich konnte ich kurz später auch eine Darstellung von zwei Lübecker Frauen aus dem 16. Jahrhundert auftun, die eine sehr ähnliche Mantelform tragen. Zwar fehlen die ‚Schnabelkrägen‘, dafür gibt es auch hier die vielen Falten und der Mantel wird auf dem Kopf getragen.
Allerdings stammten alle diese Bildbelege aus nachmittelalterlicher Zeit. Schriftlich belegt ist die Hoyke ja aber schon viel früher.
Der entscheidende Hinweis war dann – wie so oft – ein Zufallsfund. In der illustrierten Handschrift des Hamburger Stadtrechts von 1497[1] begegnen in mehreren Abbildungen Frauen mit langen, faltenreichen Mänteln, häufig in rot oder grün, manchmal auch Pelzverbrämt. Hier ist zwar nur eine Trageweise abgebildet, nämlich die auf den Schultern, aber dafür finden wir hier die gleichen abstehenden Krägen wie sie schon auf den niederländischen Darstellungen begegnen. Da ist sie also: die niederdeutsche Hoyke!
Mittlerweile sind fast drei Jahre ins Land gegangen und ich habe ‚die Jagd nach der Hoyke‘ zu meinem ganz persönlichen Auftrag erklärt. Ein paar weitere Bildquellen konnte ich mittlerweile tatsächlich noch ausmachen. Sie reichen allerdings nicht vor das späte 15. Jahrhundert zurück.
Die Verwendung
Was wissen wir aber über die Verwendung der Hoyke? Abgesehen davon, dass sie in erschlagender Zahl in den Textquellen begegnet, leider recht wenig. Sowohl die schriftliche Überlieferung als auch die Bildbelege, die ab dem 15. Jahrhundert einsetzen, deuten darauf hin, dass der Mantel vor allem im städtisch-bürgerlichen Kontext verwendet wurde, und das ausschließlich von Frauen. Obwohl die bekannten Abbildungen alle aus dem Bereich der gehobenen Mittel- bis Oberschicht stammen, so belegt die Schriftüberlieferung doch, dass der Mantel von allen Schichten verwendet wurde. Ob er dabei immer die gleiche Form hatte, kann ich nicht sagen, doch kann man die Hoyke mit Details wie der Tuchqualität oder einer Pelzverbrämung an den jeweiligen Stand anpassen, ohne die Form zu verändern. Die Farbe (hier begegnen vor allem schwarz, rot und grün) und der Schnabel scheinen hingegen eher lokale Eigenheiten zu sein.
Und zu welchen Gelegenheiten wurde sie getragen? Gute Frage! Die hohe Anzahl, mit der die Hoyke in den Schriftquellen belegt ist, lässt vermuten, dass sie durchaus oft verwendet wurde. Die Form allerdings mit dem schweren faltenreichen Stoff und ohne Verschluss macht den Mantel nicht unbedingt praktisch. Er ist definitiv nicht zum Arbeiten gedacht, sondern eher zum Gehen und zum Stehen – also kein Alltags-, sondern vielleicht eher ein Festtagsmantel. Dazu passen viele der Abbildungen, die den Mantel bei Kirchgängen, Taufen, Hochzeiten und bei öffentlichen Versammlungen zeigen. Dass er mehrmals in Stifterbildern auftaucht, wo sich die Stifterin natürlich besonders fromm und demütig zeigen möchte, passt ebenfalls in diesen Zusammenhang.
Und warum auf dem Kopf? Diese Frage ist sogar noch besser! Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei um einen eingebauten Regenschutz handelt. Ich halte das eher für unwahrscheinlich aus drei Gründen:
- 1) ist der Mantel recht schwer und – zumindest meinem Erfahrungswert nach – nicht lange auf dem Kopf zu tragen
- 2) geht Regen meistens mit Wind einher, und der Mantel wäre aufgrund seiner Stofffülle unter diesen Umständen kaum noch zu händeln. Gerade die prächtigen Ausführungen mit Hermelinbesatz wären auch eigentlich zu schade, um sie als Regenmantel zu verwenden!
- 3) Zeigen viele der Frauen auf den Abbildungen gestärkte Hauben. Die lassen eher vermuten, dass sie den Mantel gar nicht auf dem Kopf getragen haben (diese Haubenformen sind übrigens eine Sache, der ich bei Gelegenheit noch einmal nachgehen werde…)
Ich vermute also eher, dass es sich um einen derjenigen modischen ‚Abnormitäten‘ handelt, die man sich heute rational kaum erklären kann, die aber von den Zeitgenossen selten hinterfragt wurden (ich erinnere nur an solche Beispiele wie Schamkapseln… oder High Heels…).
Die Rekonstruktion
Meine Rekonstruktion stammt wie gesagt von 2016 und war ein erster Versuch auf Basis einer sehr begrenzten Quellenlage. Mittlerweile kenne ich sehr viel mehr Bildbelege und würde einiges anders machen. Nichtsdestotrotz sei sie hier vorgestellt:
Ich entschied mich für schwarzen Wollstoff, denn schwarz war die Hauptfarbe in den Göttinger Inventaren, an denen ich mich für diesen Erstversuch orientierte. Als Schnitt wählte ich einen Halbkreis, den ich aber in der Mitte um den Halsausschnitt herum etwas in die Breite „verzerrte“, um genügend Spielraum für die Falten zu haben. Hieran wurde dann der Kragen angesetzt. Um ihn steif zu bekommen, habe ich ihn mit mehreren Lagen festen Leinenstoffs zwischengefüttert.
Optisch ist das Ergebnis durchaus überzeugend, und kommt den Bildbelegen, die ich damals zur Verfügung hatte, recht nahe. Ich kann den Mantel in beiden Varianten tragen, doch offen gestanden, ist die Tragevariante auf dem Kopf auf Dauer nicht sonderlich bequem. Der Mantel ist recht schwer und zieht die Haube mit seinem Gewicht nach hinten. Die Lösung, um den Kragen zu versteifen, wäre vermutlich noch optimierbar. Hier habe ich bisher aber noch keine geeignete Alternative gefunden. Mehr Falten wären ebenfalls möglich – da ist meine Version verglichen mit einigen der Lübecker Abbildungen schon sehr bescheiden.
Außerdem habe ich darüber nachgedacht, den Mantel zu füttern. Ich denke, dass das für ein vermutlich doch recht repräsentatives Kleidungsstück angebracht wäre, doch hatte ich mich für diesen Erstversuch aus rein praktischen Gründen dagegen entschieden. Gewichtsmäßig hätte ich ihn dann gar nicht mehr auf dem Kopf tragen können.
Ihr merkt, ich bin mit dieser ersten Rekonstruktion nicht (mehr) ganz zufrieden. Würde ich heute einen zweiten Versuch starten, dann würde ich vermutlich einen dünneren und feineren Oberstoff verwenden (dann fallen auch automatisch fie Falten feiner!), ein dünnes Wollfutter einziehen oder eine Pelzverbrämung, und vielleicht auch den Kragen verkleinern oder weglassen, denn er streitet sich doch recht häufig mit meiner Haube.
Das Fazit
Die Hoyke ist für die norddeutsche Frau des späten Mittelalters die Überbekleidung schlechthin! Obwohl sie erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts in den Bildquellen auftaucht, ist sie in der schriftlichen Überlieferung schon seit dem 14. Jahrhundert belegt. Sie wurde in den Städten von allen Gesellschaftsschichten verwendet, denn sie ließ sich ganz einfach an jeden Geldbeutel anpassen. Farbe und Kragenform scheinen lokale Besonderheiten gewesen zu sein. Dabei war sie vor allem Festtagsmantel. Als Wetterschutz wird sie nur in Ausnahmefällen gedient haben.
Die Hoyke ist ein ganz besonderes Kleidungsstück und eines der wenigen, wo sich ganz klar ein Unterschied in der Mode zwischen Nord- und Süddeutschland zeigt. Obwohl die Hoyke sicher nicht zu den praktischsten Kleidungsstücken gehört, so ist sie doch auch in heutigen Augen noch auf jeden Fall ein Hingucker. Und wer schön sein will, muss bekanntlich leiden! 😉
[1] Mit der auf der Schulter geschlossenen Heuke, die als Männermantel bekannt ist und auch im Süden Verwendung fand, ist diese Hoyke nicht direkt verwandt. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Mantelformen.
[1] vgl. Binder, Beate: Illustriertes Recht. Die Miniaturen des Hamburger Stadtrechts von 1497 (Veröffentlichungen des Vereins für hamburgfische Geschichte 23), Hamburg 1988, Taf. C, D, F, J.
[2] vgl. Lindskog-Walleburg, Gudrun: Bezeichnungen für Frauenkleidungsstücke und Kleiderschmuck im Mittelniederdeutschen. Zugleich ein Beitrag zur Kostümkunde, 2., überarb. Auflage Berlin 1977 (Göteborger Germanistische Dissertationsreihe 5), S. 63 ff.).
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