Review: Handbook for Men’s Clothing of the Late 15th Century – Da isser! Ein Zipfel Norden!

Anna Malmborg/Willhelm Schütz, A Handbook for Men’s Clothing of the Late 15th Century, Furulund 2018 (Historical Clothing from the Inside out). [aus Schweden bestellt, 175kr + Versand, also um die 23€]

Zeitgleich mit “A Handbook for Women’s Clothing of the late 15th century”, welches bereits von uns rezensiert wurde, erschien auch in derselben Reihe und auch vom gleichen Autorenpaar „A Handbook for Men’s Clothing of the late 15th century“. Die Autoren sind zwei, die Bücher sind zwei, wir sind zwei. Passt! Also wie versprochen, gibt es von uns auch zum zweiten Buch ein Review.

Wie schon in der Rezension zum Band über die Frauenkleidung beschrieben, genießt das 15. Jahrhundert, und besonders die zweite Hälfte, in der Living History Szene eine sehr große und wachsende Beliebtheit. Gründe hierfür liegen wahrscheinlich nicht zuletzt in der guten Quellenlage: wir haben bspw. verstärkt Textquellen überliefert, die uns Aufschluss geben zu der Materialität, Anleitungen für Nestelbänder, Testamente aus der bürgerlichen Schicht etc., und auch die Bilder werden immer detaillierter und naturalistischer, und auch die erhaltenen Originale sind relativ zahlreich und recht weit gefächert, so gibt sogar aus Lengberg in Österreich Funde von Unterwäsche aus dem 15. Jahrhundert! Österreich… genau das passende Stichwort: Süden! Der Norden, also Norddeutschland und Skandinavien, wird sowohl in der Forschung als auch in der Living History Szene weniger stark behandelt.

Der Klappentext verspricht, dass dieses Werk ein „tool for understanding the clothes, materials and tailoring of Northern Europe” sei und nennt sich ein „in-depth volume“. Es möchte also ebenfalls wie sein Schwesternwerk genau die schon genannte Lücke schließen.

Die Aufmachung des Buches entspricht der des Bandes über die Frauenkleidung: auf 48 reich bebilderten Seiten in Form eines Softcover Buches gibt es einen Abriss der Männerkleidung für das späte 15. Jahrhundert für Nordeuropa.

Der erste Abschnitt („The Period“, S. 6–15) widmet sich ebenfalls dem geschichtlichen Kontext, den Farbe, den Stoffen und den Nähtechniken, und es wird – was ich für besonders wichtig erachte – auf (leider nur, aber immerhin) einer Seite auf ein zeitgenössisches Ästhetikgefühl hin sensibilisiert, welches sich in mehreren Kleidungsstücken wiederfinden lassen soll und deren Look beherrscht. Ebenfalls wird darauf eingegangen, dass es drei grundlegende Modebewegungen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gab: Burgundisch, Italienisch und Deutsch. Die Unterschiede werden nicht beschrieben.
Der zweite Abschnitt („A Wardrobe“, S. 18–39) geht ebenfalls von der Unterwäsche in jeder Wäschelage anhand von ein 1–3 Beispielen bis nach außen zum Hut und Umhang und den Schuhen. Die Beispiele sind meist durch die Abbildungen oder im Text beschriebene Merkmale in, ich nenne sie mal „Economy“, „Business“ und „First Class“ unterteilt, und ergeben somit einen gewissen Variantenreichtum. Jedes Kleidungsstück wird über in der Regel zwei zeitgenössische Abbildungen „belegt“ und im Anschluss modern nachgezeichnet dargestellt – einmal an der schon aus dem Band zur Frauenkleidung bekannten „Anziehpuppe“ und einmal als „Idee eines Schnittmusters“.
Der dritte Abschnitt („Accessories“, S. 40–45) behandelt in aller Kürze und nur als ganz grober Überblick die Nestelbänder, Gürtel, Taschen, Schmuck und Frisuren.
Das Ende des Buches, wie sollte es auch anders sein, machen das Abbildungsverzeichnis und Literaturhinweise.

Und genau hier setzt auch schon meine Kritik an: Es gibt kein klassisches Literaturverzeichnis, keine Fußnoten, keinen Hinweis, wo die Informationen, die im Text stehen und nicht aus den Bildquellen hervorgehen („The shirt served to protect the finer woolen garment, and could be changed and washed more frequently“, S.22, oder „Most garments were sewn with linen thread“, S. 14) herkommen. Ebenfalls wird häufig über Informationen gesprochen, die einen Einblick in eine Großzahl an Bildern verlangt, aber nur mit einem einzigen gezeigten Bild belegt wird, wenn überhaupt! („Despite a few depictions of men wearing blue or black braies, the most common material by far was bleached linen.”, S. 20, und auf der Doppelseite werden drei Abbildungen von Unterhosen gezeigt, alle weiß.) Dieses „Belegen nur durch Bild“ zieht sich durch das gesamte Buch – und was sehr gravierend ist in meinen Augen: Originale werden nicht hinzugezogen! Jedes Kleidungsstück wird über meist zwei Bilder belegt, die aber ohne Kontext gezeigt werden, und ob der Beleg gerade durch ein süddeutsches Bild stattfindet (neben den 19 Gemäldebelegen aus dem Norden lassen sich auch 10 süddeutsche im Abbildungsverzeichnis ausmachen) ist erst durch einen Blick ins Verzeichnis zu erkennen. So sind beide Abbildungen für den Umhang süddeutsch, obwohl es durchaus norddeutsche Abbildungen für genau solche hüft- bis oberschenkellange Halbkreisumhänge gibt. Es ist wahrscheinlich dem angestrebten Seitenumfang des Buchs zu verschulden, dass jegliche Hinweise, was überhaupt an der dargestellten Mode jetzt das Deutsche ist, fehlen, obwohl die deutsche Mode, wie eingangs auf S.8 in den Raum gestellt, im Kontrast zum Burgundischen und Italienischen stehen soll. Die Gemäldeabbildungen sind aber (bis auf zwei Unterhosen, ein Hut und eine Frisur, die alle vier italienisch sind) durchgehend deutsch oder niederländisch, entsprechen also dem vom Buch versprochenen. Wie auch im Band zur Frauenkleidung, besteht der Schmuck, der mittels Photos von Rekonstruktionen gezeigt wird, durchgehend aus Zinn, obwohl die Gemäldeabbildungen Gold zeigen und auch der Text als andere Materialien Bronze, Silber und Gold erwähnt. Der Begriff „turnshoe“ wird nur in der Einleitung erwähnt (S. 18) und es wird auf die Besonderheit des Wendeschuhs im Gegensatz zum sonst allgemein bekannten modernen Schuh auch auf der Doppelseite zu den Schuhen (S. 38f.) nicht eingegangen. Trippen aus Holz werden erwähnt, aber nicht gezeigt. Die im späten 15. Jahrhundert häufig anzutreffenden Schuhe mit einer Schnalle werden erwähnt, aber ebenfalls nicht gezeigt. Die Abbildungen der Schuhe beschränken sich nur auf zwei Photos von Rekonstruktionen und auf die modernen Schemazeichnungen von der „Anziehpuppe“. Die Ärmelkonstruktion über den Grande-Assiette-Schnitt findet weder im Bild noch im Text Erwähnung – ist aber aufgrund der verwendeten Abbildung auch nicht notwendig. Grande-Assiette war aber dennoch häufig in Gebrauch und würde meines Erachtens mit in ein solches Handbuch gehören. Richtige Schnittmuster werden aber eh nicht zugegeben, sondern nur grobe Konstruktionsvorschläge – die einem aber durchaus bei der Herstellung eines eigenen Schnittmusters weiterhelfen! Leider sind die Konstruktionsvorschläge ausgerechnet bei den fixierten Falten am Oberteil (Gown, S: 28–31) nicht hilfreich, jedenfalls für mich nicht verständlich.

Das Buch ist definitiv nicht für sich alleinstehend ausreichend zu betrachten und es bedarf mehr Recherche als das Buch allein präsentiert. Es gibt keinen Hinweis, wie die erwähnten Nestelbänder hergestellt werden (außer, dass sie per Finger-Loop gemacht werden können, zu dem es aber kein Schema dazugegeben gibt), es gibt keinen Hinweis, wie Gürtel aussehen können, abgesehen von einer einzigen gezeigten Zinn-Gürtelschnalle als Reproduktion, Knöpfe werden als Verschluss genannt, aber nie gezeigt oder näher beschrieben, außer dass es unter Umständen „fabric-covered buttons“ (S. 28) sein können – Zinn- und Messingknöpfe finden nicht einmal Erwähnung, genau wie die Knopflöcher oder die Konstruktion, wo die Knöpfe angebracht werden müssen).

Auf der Positivseite steht aber, dass es in Form dieses Buches eine Art gebündelte Übersicht, gewissermaßen eine Checkliste gibt, was zu einem kompletten (aber ziemlich generischen) Outfit gehört. Es wird kurz u.a. auf die Abhängigkeit der Art der Naht von Material und Beanspruchung eingegangen, es wird der Wechsel der Nahtform bei den Hosen erwähnt, es wird betont, dass Material und Schnitt immer vom Zweck und Vermögen des Trägers abhängig ist, etc., man bekommt eine relativ umfassende Hinweisansammlung, woraus ein („norddeutsches“) Outfit besteht und wie es aussehen kann.

Für Fortgeschrittene, die die Besonderheiten des Nordens kennenlernen wollen, ist das Buch definitiv nicht geeignet, und als „ein Buch verrät mir alles, was ich für den Anfang brauche“ leider auch nicht. Wer aber eine Zusammenstellung eines Kits haben möchte in der vieles direkt vor einem auf Papier liegt, ohne dass man sich über unzählige Internetquellen sich Informationen zusammenklamüsern muss, und bereit ist, weitere Recherchearbeit zu ergänzen, findet in diesem Buch einen relativ guten Begleiter, auf dem man weitere Arbeit aufbauen kann. Ich persönlich hätte mir ein solches Buch an meinem Anfang gewünscht, welches ich als Orientierungshilfe oder Checkliste nutzen hätte können. Aber mehr als das ist es dann leider auch nicht.

/Philipp

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