Anna Malmborg/Willhelm Schütz, A Handbook for Women’s Clothing of the Late 15th Century, Furulund 2018 (Historical Clothing from the Inside out, 1). [17,99 GBP über Amazon.co.uk – auch über den Verlag direkt zu erwerben]
Das späte 15. Jahrhundert genießt seit einigen Jahren eine herausragende Popularität in der Living History-Szene, und das durch ganz Europa. Ein Grund dafür mag der Quellenreichtum sein und die seit dem Ende des Mittelalters immer detaillierter und naturalistischer werdenden Bildbelege, die den Zugang zu diesen letzten Jahrzehnten des Mittelalters erleichtern. Was aber für Italien, Frankreich und den Süden des Heiligen Römischen Reiches gilt, trifft noch lange nicht auf alle Gegenden Europas zu: gerade die „Peripherie“, darunter Skandinavien und das heutige Norddeutschland, hängt sowohl mit Bildquellen als auch der modernen Erforschung noch weit hinterher. Ein Problem, das wir ‚Norddeutsche‘ sehr gut kennen. Das macht sich auch in der Living History-Szene bemerkbar.
Dem möchte das Buch ‚A Handbook for Women’s Clothing of the late 15th Century” Abhilfe schaffen. Auf 40 reich illustrierten Textseiten (und damit vielleicht doch eher ein Heft?) widmet es sich der gesamten weiblichen Garderobe in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, von der Unterwäsche bis zur Haube. Der Fokus liegt dabei, so die Einleitung, auf Skandinavien und dem nordeuropäischen, sprich: Hanse-Raum (S. 5). Das macht das Werk auch für uns aus dem Norden so interessant. Die beiden Autoren stammen selbst aus dem Bereich des Living History und berufen sich auf jahrelange Erfahrung. Anna Malmborg kann darüber hinaus einen Bachelorabschluss in Geschichte und Archäologie vorweisen, Willhelm Schütz ist gelernter Waffenschmied (S. 48). Das Heft ist hochwertig gestaltet mit ansprechendem Softcover-Einband, Hochglanzseiten und zahlreichen Illustrationen und zeitgenössischen Bildquellen.
Das Buch teilt sich neben dem kurzen Vorwort in drei Teile: The Period, A Wardrobe, Accessories. The Period ist ein kursorischer Überblick über das Tagesgeschehen des ausgehenden Mittelalters – politische Situation, soziale Umbrüche, Kriege, auch das mit Schwerpunkt Skandinavien –, gefolgt von jeweils zweiseitigen Einführungen in das spätmittelalterliche Schönheits- und Kleidungsideal, Kleidungsfarben und Färbemittel, Gewebe und Nähtechniken. Zwei Seiten erscheint wenig, zumal sich der Text den Platz auch noch mit den zahlreichen Abbildungen teilen muss, reicht aber hier vollkommen aus, um eine Grundlage für das erste eigene Nähprojekt zu schaffen. Das Kapitel zum historischen Kontext scheint neben diesen Basics der Kostüm- und Kleidungskunde ein bisschen aus dem Rahmen zu fallen, ist dafür aber das einzige, das wirklich zum Übertitel ‚The Period‘ passt. Dieser ‚Makel‘ in der Überschriftenwahl sei aber verziehen.
Der nächste Teil, A Wardrobe, widmet sich dann der Garderobe der spätmittelalterlichen Frau ‚from the Inside out‘. Beginnend mit dem Unterkleid, arbeiten wir uns zu Kopfbedeckung und Schuhen durch. Jeder Schicht wird eine ‚Standardversion’ des jeweiligen Kleidungsstücks zugeordnet; zahlreiche Hinweise auf Varianten sowie die Infos, die man im ersten Teil des Buches erhalten hat, helfen aber, das Kleidungsstück an den eigenen sozialen Stand und Zweck der Darstellung anzupassen. Auch hier sind zwei Seiten pro Kleidungsstück vorgesehen. Die Erklärungen sind einfach gehalten, sodass man leicht einen Eindruck vom Aussehen der Kleidungsstücke bekommt. Unterstützt wird das durch Bildquellen und eine gezeichnete ‚Anziehpuppe‘, die uns Modell steht und schrittweise von Seite zu Seite eine Kleidungsschicht hinzubekommt. Aufnahmen der eigenen Rekonstruktionen (‚am lebenden Objekt‘) und Schemazeichnungen von Kleidungsschnitten verdeutlichen die Infos aus dem Text und können auch für einen ersten Zugriff für Unerfahrene dienen, die sich erstmals selbst an Kleidungs(re)konstruktion versuchen wollen. Schnittmuster hingegen gibt es keine. Verwirrend und wenig hilfreich wird es, wenn der Grande-Assiette-Schnitt zwar im Text kurz angerissen wird, es aber an bildlicher Unterstützung fehlt, um sich diesen doch recht komplexen Ärmelschnitt vorstellen zu können. Die Anleitung zur Wicklung eines Kopftuchs mag gerade für Anfänger recht hilfreich sein. Was mir persönlich neu ist – aber da lasse ich mich gerne eines besseren belehren – ist, dass man regulär zwei Unterkleider getragen haben soll: ein ärmelloses und ein langärmeliges.
Der letzte Teil, Accessories, behandelt auf insgesamt sechs Seiten Gürtel, Beutel, Schmuck und Frisuren, ebenfalls wieder recht kursorisch. Hier finden sich mehr Bilder von Rekonstruktionen. Der gezeigte Schmuck und die Gürtel sind aber recht einfach gehalten; es überwiegt deutlich Zinn. Den Abschluss bilden ein kurzes Abbildungsverzeichnis und einige Literaturtipps für weitere Recherchen.
Dem Heft fehlen, abgesehen von den reichen Bildbelegen, jedwede Quellennachweise, obwohl hin und wieder auf entsprechenden ‚evidence‘ rekurriert wird. Die Bildbelege jedoch erfüllen leider absolut nicht den Anspruch, den das Heft eingangs an sich selbst geäußert hat. Hieß es in der Einleitung, man wolle sich auf Skandinavien konzentrieren und das mit Bildbelegen aus dem eng verwandten norddeutschen Raum unterstützen (S. 5), so fällt bald auf, dass fast ausschließlich alle Bildbelege süddeutschen Abbildungen entstammen. Das wird leider noch nicht einmal auf den ersten Blick sichtbar, da die Nachweise nicht bei den Abbildungen stehen, sondern im Anhang beigegeben wurden. Lediglich einmal wird explizit auf eine skandinavische Darstellung verwiesen, das Portrait Magdalenas von Schweden, ohne dass das Portrait aber selbst abgebildet würde (S. 33). Auf diesem Bild soll sie angeblich eine Schaube tragen; abgesehen davon, dass das Bild recht undeutlich ist, so handelt es sich (meinen Recherchen zufolge, vgl. auch den Blogpost zur Hoyke) zumindest für den norddeutschen Raum um ein doch eher ungewöhnliches Kleidungsstück. Auch Datierungen fehlen an den Bildbelegen leider. Zwar stammen alle Abbildungen aus dem späten 15. Jahrhundert, so ja auch der Buchtitel, doch ist die Mischung hier recht bunt, von spätgotischen bis Frührenaissance-Formen, die eigentlich nicht unkommentiert nebeneinander stehen sollten. Aus quellenkritischer Sicht schwierig sind die Abbildungen zu Frisuren am Schluss, zeigen sie doch Abbildungen Mariens und der weisen und törichten Jungfrauen, die keinesfalls repräsentativ für spätmittelalterliche Haartracht sein sollten.
Fazit: Das Buch gibt eine gute Einführung in die spätmittelalterliche Mode und kombiniert geschickt und platzsparend die nötigen Grundlagen der Kostümkunde mit einer Tour d’Horizon durch den weiblichen Kleiderschrank. Pluspunkte gibt es für den historischen Kontext am Beginn und für die ‚Anziehpuppe‘ mit den Schemazeichnungen der Schnitte. Für den Anfänger ist das Buch mit Sicherheit eine gute Einstiegshilfe – eine weiterführende Recherche ersetzt es aber keinesfalls!
Leider nicht geeignet ist das Buch, wenn man eine profunde Einführung in die nordeuropäischen Charakteristika der Kleidung sucht. Ich als Living Historian (und darüber hinaus auch Historikerin und Mediävistin) mit Schwerpunkt im norddeutschen und Hanse-Raum kenne das Quellenproblem sehr gut und ich weiß, dass wir oftmals nicht ohne den so viel besser illustrierten und erforschten Süden auskommen, wenn wir überhaupt was am Leib tragen wollen. Aber: Das heißt nicht, dass es keine Quellen gäbe; sie sind nur leider sehr viel weniger erschlossen und brauchen mehr Eigeninitiative in der Recherche. Wer also (so wie ich) darauf gehofft hat, dass das Buch einen Beitrag dazu leistet, die kleinen, aber durchaus feinen Unterschiede der nordeuopäischen Mode gegenüber dem Süden herauszuarbeiten, der wird hierin leider enttäuscht werden.
/Mai-Britt