VorWeg #3: “Der Weg ist das Ziel…”

…, stimmt selten so gut als Spruch wie bei diesem Projekt. Und der Weg selbst ist ein ebenso wichtiger Akteur wie wir oder unsere Ausstattung, weswegen wir ihn hier ein wenig genauer vorstellen möchten. 

Im Vordergrund – der Weg 

Abb. 1: Für das Heilige Römische Jahr 1500 wurde von Erhard Etzlaub diese Karte gedruckt, an der sich Pilger auf dem Weg nach Rom von Stadt zu Stadt, inkl, Entfernungsangaben, orientieren konnten. Leider finden sich auf ihr weder eine Verbindung noch Orte zwischen Hildesheim und Göttingen. Diese Strecke scheint für Rompilger in Etzlaubs Augen nicht notwendig gewesen zu sein.

Eine Pilgerfahrt ohne Weg ist unvorstellbar. Dieser Gedanke reicht so weit, dass sogar in geistlichen Pilgerreisen, also literarische Reisen für die, die nicht real reisen können, bspw. Nonnen, die Beschwerden des Unterwegsseins dennoch einen wichtigen Platz einnahmen. Auch im Liber Sancti Jacobi (= das Buch des Heiligen Jakobus, auch Jakobsbuch oder Codex Calixtinus genannt), einem Buch aus dem 12. Jahrhundert und der erste Pilgerführer wird beschrieben, dass der beschwerliche Weg des Pilgers diesen in die Tradition Adams, der Israeliten während ihrer 40 Jahre in der Wüste und die der Jünger Christi setze und man ihnen somit nachfühlen könne. Durch die Entbehrungen und überstandenen Gefahren ist man ein wahrer Pilger. Es wird auch festgestellt, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Pilger gegeben habe, die es sich einfacher machen würden und mit dem Pferd reisen würden, immer satt zu essen hätten und den Armen nichts geben würden. Diese ermahnt der Autor zu mehr Bescheidenheit und die schwierigere Methode zu nehmen. Der Weg muss sein und er muss beschwerlich sein! 

Im Hintergrund – Vorbereitung und Auswahl des Weges 

Unsere Reise orientiert sich an einem indirekt überlieferten Pilgerbrief von 1401, über den in einem Ratsurteil der Stadt Göttingen berichtet wird (Urkundenbuch der Stadt Göttingen, Band 2, Nr. 1). Pilgerbriefe sind neben Reiseberichten die hauptsächlichen Quellen, die wir heute über Pilgerreisen und deren Strecken haben. Pilgerbriefe, also die Genehmigung des heimischen Pfarrers, sich fern des Wohnorts aufzuhalten, eine Beglaubigung des Pilgerstatusses und eine Empfehlung an anderere Pfarrer, mit der Bitte, den Pilger am Gottesdienst teilnehmen zu lassen, geben in der Regel auch die Reisedauer an, da sie begrenzte Gültigkeit gesaßen.

Exkurs: Conrad Reymer reiste im Frühjahr 1401 aus seiner Heimat Winzenburg (Ldk. Hildesheim) nach Nikolausberg, um dort an Mariae Lichtmess (2. Februar) anzukommen. Auf dem Weg wurde er jedoch überfallen, obwohl Pilger seit 1235 unter einem besonderen Schutz stehen. Daher klagte er vor dem Göttinger Rat und bekam, nachdem sein Heimatpfarrer erneut schriftlich bestätigte, dass er ein echter Pilger sei, sein Hab und Gut zurück. 

Wir benötigen also eine Route zwischen Hildesheim und Nikolausberg, die mehrere Kriterien erfüllt: 1) Start und Ziel müssen erfüllt werden. (versteht sich irgendwie von selbst). 2) Wir wollen uns so gut es geht auf der historischen Route bewegen. Der Weg sollte nach Möglichkeit in dieser Form für das späte 15. Jahrhundert belegbar sein. Erst modern gebaute Schneisen durch Wälder, Brücken, wo es erst seit 100 Jahren eine Flussquerung gibt und damals einen Umweg erforderlich war, etc. scheiden also aus. Wenn es also im 15. Jahrhundert an Stelle X keine Flussquerung gab, müssen wir einen anderen Weg über den Fluss nehmen. 3) Die Route muss so verlaufen, dass sie für die mittelalterliche Reisemethode schlüssig ist: von Siedlung zu Siedlung, und Übernachtungen an Orten mit einer passenden Unterkunft, wie bspw. Klöster mit Pilgerherbergen. 4) Der Untergrund soll möglichst dem historischen Boden entsprechen. Asphalt und Schotter wird so weit ausgewichen wie wir können.

Als Startpunkt haben wir uns den Hildesheimer Mariendom ausgesucht. Wären wir Hildesheimer Bürger, hätten wir vor der Abreise bei unserem Priester an unserer Pfarrkirche gebeichtet. Da wir Lukas und Anneke auf keine Pfarrgemeinde in Hildesheim festgelegt haben, ist ein Start an der größten Kirche der Stadt ein Näherungswert. Von dort geht es nicht auf den modernen Jakobsweg, von dem der Abschnitt „Via Scandinavica“ (die Route links auf der verlinkten Karte) auch zwischen Hildesheim und Göttingen/Nikolausberg verläuft, sondern auf einen selbst recherchierten Weg. Inwieweit die Wegführung des modernen Jakobswegs zwischen Hildesheim und Göttingen der Wegführung des historischen Weges entspricht, können wir aktuell nicht sagen. Wir vermuten jedoch, dass er aufgrund von “Sightseeing” etwas angepasst sein könnte. Unser Weg (auf der Karte die rechte Route) orientiert sich am Wegenetz, das vom Forschungsprojekt Viabundus verzeichnet wurde. Das Projekt Viabundus wird vom Institut für Niedersächsische Landesgeschichte (Göttingen) und der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums (Lübeck) geleitet, und wir durften für unsere Recherche auf deren Datenbank zugreifen. Schon an dieser Stelle vielen Dank! Somit führt der Weg uns geradewegs nach Südosten, über Bad Salzdetfurth, Bad Gandersheim, Kalefeld, Northeim und dann nach Nikolausberg

Man sieht recht große Abweichungen zwischen dem modernen Jakobsweg und unserer Strecke. Das hat, wie oben schon angesprochen, mehrere Ursachen: 

1) In der Göttinger Gerichtsakte befinden sich nur die Hinweise zum Start- und Endpunkt. Generell wurden Zwischenstationen auch in erhaltenen Pilgerbriefen nur selten genannt; meistens dann, wenn sie einen weiteren wichtigen Pilgerort vorzuweisen hatten, was leider auf diesem Abschnitt nicht gegeben ist. Auch die Reisebeschreibung des Hildesheimer Bürgermeisters Henning Brandis (*1454, †1529), der von Hildesheim über Göttingen nach Aachen pilgerte, nennt zwischen Hildesheim und Göttingen lediglich Bad Gandersheim als Station – das wir ebenfalls ansteuern. Weitere Reiseberichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert nennen auch nur Gandersheim und Hildesheim, ohne Nennung eines Ortes dazwischen. Die Feinheiten der Strecke sind somit nicht vorgegeben, sondern müssen von uns rekonstruiert werden. 

2) Der Abschnitt der modernen Via Scandinavica ist (bisher) nicht in dieser Form in der Datenbank aufgenommen, also kann man nicht mit ausreichender Sicherheit sagen, dass man historisch diese Verbindungen gewählt hätte, die der heutige Weg vorgibt. Einige Teilabschnitte werden zudem nicht über das Wegenetz der Datenbank Viabundus bedient, und wir würden ggf. in (historische) Sackgassen geraten. 

3) Der von uns gewählte Weg verläuft nur zu einem geringen Anteil entlang der modernen Hauptstraßen. Dadurch ist der Weg nicht nur beschaulicher, sondern aufgrund des anderen Bodens sowohl gelenk- als auch schuhschonender, und dies sind für unsere Rekonstruktion zwei weitere wichtige Punkte. Dazu unten mehr. 

4) Es erlaubt uns der Weg zudem Übernachtungen an Orten mit Klöstern, die historisch wahrscheinlich ebenfalls passende Pilgerunterkünfte angeboten haben. Unsere erste Station ist in Lamspringe geplant, wo es seit 873 ein Kloster gab, das bis zum frühen 15. Jahrhundert auch nachweislich ein Hospital unterhielt. Die zweite Übernachtung wird bei Wiebrechtshausen stattfinden, wo es ein im 15. Jahrhundert florierendes Zisterzienserinnenkloster gab, das seit ca. 1250 eine Hospital zur Pflege unterhielt – und vielleicht auch ein paar Betten für Pilger frei hatte. 

und 5) Der schöne Nebeneffekt ist, unser Weg ist sogar etwas kürzer. 

Der Untergrund – die genaue Streckenführung 

Abb. 2: so kaputte Schuhe gilt es so lang wie möglich zu vermeiden.

Wie schon oben genannt, weichen wir absichtlich bestimmten Böden aus, nämlich Asphalt, Kies und Schotter. Denn bei unseren Schuhen handelt es sich um wendegenähte Schuhe. (Wer diese Schuhe kennt und mit ihnen Erfahrung hat, kann, wenn er mag, direkt zum nächsten Absatz springen.) Sie sind vollständig aus Leder gefertigt und haben eine ungedämpfte, ca. 6mm dicke Ledersohle. Die 6mm klingen nach viel, aber bedenkt man, dass es nur Leder und kein Hochleistungsgummi ist, und dass es keine Dämpfung wie bei modernen Schuhen gibt, und auch keinen Absatz, der das Abrollen erleichtert, klingt es wieder nach relativ wenig, was zwischen unseren Füßen und dem Untergrund ist. Es sind gewissermaßen Barfußschuhe, die wir für fast 100km tragen werden. Diese wollen wir nicht zu schnell abnutzen, indem wir über bestimmte Untergründe gehen, die es damals nicht gab, bzw. nicht in diesem Umfang, wenn wir kilometerweit über Schotterpisten laufen würden. Dies würde den Materialtest der Schuhe sehr verfälschen. Und gerade auch die fehlende Dämpfung macht den weichen Grünstreifen sympathischer als den harten Asphalt. 

Ein paar Zahlen: Ein erster genauerer Blick auf die gewählte Strecke ergibt, dass auf den fast 100km Gesamtstrecke insgesamt 11km auf Asphalt fallen – vorrangig in kurzen Abschnitten von jeweils unter einem Kilomenter – und ebenfalls 11km auf Kies, der aber zumeist in der Nähe Grünstreifen zum Ausweichen hat. Dies sollte eine vertretbare Menge an modernen Untergründen darstellen. Spannend werden die insgesamt ca. 1300m Anstieg und 1100m Abstieg, die sich ebenfalls auf die drei Etappen verteilen.

Abb. 3: die aktuellen Daten zu unseren Etappen aus der Wander-App “Komoot” entnommen und nachbearbeitet. Die gedrängte Ansicht verfälscht ein wenig. Was bei der zweiten Etappe so steil aussieht, sind knapp 2,5km mit 5% Steigung.

Im Folgenden seht ihr noch einmal genauer unsere Stationen, an denen wir durchkommen werden. Hinter den Ortsnamen stehen jeweils die Kilometer (stark gerundet und ohne Gewähr), wie weit es zum vorherigen Ort ist. Man sieht sehr deutlich die kurzen Etappen, die zwischen bewohnten Orten liegen, an denen man sich “entlanghangeln” konnte. Auf der rechten Seite der Tabelle findet ihr eine kleine Auswahl an Besonderheiten, auf die wir leider nicht alle eingehen können, aber die hier besonders auffälligen Orte Lamspringe, Brunshausen, Bad Gandersheim, Wiebrechtshausen und natürlich Nikolausberg werden wir euch noch genauer zeigen und vorstellen. 

StationBesonderheiten
Mariendom Hildesheim – 0kmStartpunkt 
Marienburg – 5,5km  
Itzum – 1,5km  
Egenstedt – 3,5km  
Kl. Düngen – 3,5kmBernwardskapelle mit Fundament aus dem 13. Jh. 
Gr. Düngen – 1,5km  
Wesseln – 2km  
Detfurth – 1,5km  
Bad Salzdetfurth – 2km  
Wehrstedt – 2km  
Bodenburg – 3km  
Lamspringe – 8kmErste Übernachtung Kloster Lamspringe, Benediktinerinnen, 872/73 gegründet, den Patronen Hadrian und Dionysios geweiht (im 16. Jahrhundert wohnten hier anglikanische Benediktinermönche) 
    
Gehrenrode – 3,5km  
Altgandersheim – 4kmStammsitz der Ottonen 
Brunshausen – 3kmKloster St. Bonifatius, Benediktiner, 1106/11 gegründet, ab dem 13. Jahrhundert Benediktinerinnen 
Bad Gandersheim – 2kmKanonissenstift, 852 gegründet und seit 919 Reichsabtei, also unterstand direkt und nur dem Kaiser Kloster Clus, Benediktiner, 1127 gegründet, gehörte zur Reichsabtei Kloster St. Marien, Benediktinerinnen, 939/40 gegründet 
Drei Linden – 1,5km  
Osterbruch – 4,5km  
Sebexen – 1km  
Kalefeld – 2,5kmNordöstlich liegt die Weißenwasserkirche, eine aus dem 12. Jahrhundert stammende, wüstgefallene und heute wieder genutzte Kirche 
Imbshausen – 5km  
Wiebrechtshausen – 3kmZweite Übernachtung Kloster, Zisterzienserinnen, 1230 gegründet 
    
Langenholtensen – 2km  
Northeim – 4kmKloster St. Blasius, Benediktiner, vor 1083 gegründet und bis 1616/32 Doppelkloster 
Hardenberg – 10km  
Sudershausen – 5km  
Billingshausen – 4,5km  
Nikolausberg – 7kmZiel unserer Reise 

Abbildungsnachweis

Abb. 1: Etzlaub, Romwegkarte aus dem Jahr 1500: Link zu Wikimedia

Abb. 2: Le Livre des faiz monseigneur saint Loys, fol. 102r entstanden im 15. Jahrhundert: Link zur französischen Nationalbibliothek.

Abb. 3: selbst erstellt

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